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Enders Schatten

Enders Schatten

Titel: Enders Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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starben, warum ließ er sie dann nicht schneller sterben oder sorgte dafür, dass sie gar nicht erst geboren wurden, damit sie nicht so viel Ärger hatten und ganz aufgeregt versuchten, am Leben zu bleiben, obwohl er sie doch nur wieder zu sich holen wollte? Bean verstand das einfach nicht, und je mehr Schwester Carlotta ihm erklärte, desto weniger verstand er. Wenn jemand das Sagen hatte, sollte er gerecht sein, und wenn er nicht mal gerecht war, warum war Schwester Carlotta dann so glücklich darüber, dass er das Sagen hatte?
    Aber wenn er so etwas zu ihr sagte, regte sie sich fürchterlich auf, redete noch mehr von Gott und benutzte Wörter, die er nicht kannte, also war es besser, sie einfach schwatzen zu lassen und ihr nicht zu widersprechen.
    Es war das Lesen, das ihn faszinierte. Und er liebte die Zahlen. Und Papier und Bleistift zu haben, damit er tatsächlich Dinge aufschreiben konnte, das war gut.
    Und Landkarten. Am Anfang kamen sie nicht im Unterricht vor, aber es gab einige an den Wänden, und sie faszinierten ihn. Er ging hin und las die kleinen Wörter darauf, und eines Tages entdeckte er den Namen des Flusses und erkannte, dass blaue Linien Flüsse waren und noch größere blaue Bereiche Orte mit noch mehr Wasser als im Fluss, und dann bemerkte er, dass ein paar der anderen Wörter die Namen auf den Straßenschildern waren, und so fand er heraus, dass dieses Ding irgendwie ein Bild von Rotterdam war, und er verstand: Das war Rotterdam, so wie ein Vogel es sehen würde, wenn die Gebäude alle unsichtbar und die Straßen alle leer wären. Er fand die Stelle, an der das Nest war, und die, an der Poke gestorben war, und alle möglichen anderen Plätze.
    Als Schwester Carlotta herausfand, dass er den Stadtplan verstand, wurde sie ganz aufgeregt. Sie zeigte ihm Landkarten, auf denen Rotterdam nur ein kleiner Fleck mit Linien war, und eine, auf der es nur ein Punkt war, und eine, auf der es zu klein war, als dass man es auch nur hätte sehen können, aber sie wusste, wo es hätte sein müssen. Bean hatte nie zuvor begriffen, dass die Welt so groß war. Oder dass es so viele Leute gab.
    Schwester Carlotta kam immer wieder auf die Karte von Rotterdam zurück und versuchte ihn dazu zu bringen, dass er sich entsann, wo die Orte aus seinen frühesten Erinnerungen waren. Aber nichts sah auf der Landkarte so aus wie in der Wirklichkeit, deshalb war das nicht leicht, und es dauerte lange, bis er herausfand, wo ein paar der Stellen waren, an denen Leute ihm zu essen gegeben hatten. Er zeigte Schwester Carlotta diese Stellen, und sie machte Zeichen auf den Stadtplan. Nach einer Weile erkannte er, dass sich alle Stellen im gleichen Bereich befanden. Sie waren irgendwie aufgereiht, als wiesen sie einen Weg von da, wo er Poke gefunden hatte, rückwärts bis …
    Bis zu dem »Sauberen Ort«.
    Nur, dass der zu schwer zu finden war. Er hatte zu viel Angst gehabt, als der Hausmeister ihn aus dem »Sauberen Ort« mit nach Hause genommen hatte. Er wusste nicht, wo das gewesen war. Und außerdem konnte der Hausmeister, wie Schwester Carlotta selbst sagte, auch woanders gewohnt haben. Also würden sie, wenn sie Beans Weg zurückverfolgten, vielleicht die Wohnung des Hausmeisters finden, oder wenigstens den Ort, an dem er vor drei Jahren gewohnt hatte. Aber selbst dann – was wüsste der Hausmeister denn schon?
    Er wüsste, wo der »Saubere Ort« sich befand, das wüsste er. Und dann verstand Bean: Es war für Schwester Carlotta sehr wichtig herauszufinden, wo Bean herkam.
    Herauszufinden, wer er wirklich war.
    Nur – er wusste bereits, wer er wirklich war. Er versuchte ihr das klarzumachen. »Ich bin hier. Und ich bin, was ich wirklich bin. Ich verstelle mich nicht.«
    Â»Das weiß ich«, sagte sie, lachte und umarmte ihn, und das war in Ordnung. Es fühlte sich gut an. Als sie damit angefangen hatte, hatte er nicht gewusst, was er mit seinen Händen machen sollte. Sie hatte ihm gezeigt, wie man das machte, einen umarmen. Sicher, er hatte schon gesehen, wie ein paar kleinere Kinder – wenn sie welche hatten – ihre Mamas und Papas umklammerten, aber er hatte immer geglaubt, dass sie das machten, damit sie nicht auf die Straße fielen und verloren gingen. Er wusste nicht, dass man sich auch umarmte, weil es sich gut anfühlte. Schwester Carlottas Körper hatte feste und wabblige Stellen, und es war sehr

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