Enders Schatten
diesen Jungen verlassen und unser aller Leben auf ihn setzen müssen, und ich finde, dazu sollte Ihnen klar sein, was mit seinen Genen los ist. Es ist ein jämmerlicher Ersatz dafür zu wissen, was in seinem Geist geschieht, aber das, fürchte ich, wird für Sie immer unergründlich bleiben.«
»Sie schicken ihn hier herauf, und dann erzählen Sie mir so etwas! Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie gerade dafür gesorgt haben, dass ich nie zulassen werde, dass er an die Spitze unseres Auswahlpools gelangt?«
»Sie sagen das jetzt, aber Sie haben ihn erst einen Tag dort oben«, wandte Schwester Carlotta ein. »Er wird Ihnen ans Herz wachsen.«
»Na ja, er sollte lieber nicht schrumpfen, sonst wird er ins Belüftungssystem gesaugt.«
»Tss, tss, Colonel Graff!«
»Entschuldigung, Schwester«, erwiderte er.
»Geben Sie mir Gelegenheit und die entsprechende Freigabe, dann suche ich selbst danach.«
»Nein«, sagte er. »Aber ich lasse Ihnen Zusammenfassungen schicken.«
Sie wusste, dass sie ihr nur so viele Informationen geben würden, wie sie glaubten, dass sie haben sollte. Aber wenn er versuchte, sie mit nutzlosem Geschwätz abzuspeisen, würde sie schon mit ihm fertigwerden. Genau, wie sie Achilles erwischen würde, bevor die IF ihn fand. Sie würde ihn von der StraÃe weg in eine Schule bringen, unter anderem Namen. Wenn die IF ihn fände, würde sie ihn wahrscheinlich prüfen â oder auf ihre Testergebnisse über ihn stoÃen. Prüften sie ihn aber, würden sie seinen Fuà heilen und ihn doch noch zur Kampfschule bringen. Und sie hatte Bean versprochen, dass er Achilles nie wiedersehen musste.
8
Klassenbester
»Er spielt das Fantasy-Spiel überhaupt nicht?«
»Er hat noch nicht einmal eine Figur gewählt und ist erst recht nicht durch das Portal gegangen.«
»Es ist unmöglich, dass er es noch nicht entdeckt hat.«
»Er hat die Präferenzen auf seinem Pult so verändert, dass die Einladung nicht mehr auftaucht.«
»Und daraus schlieÃen Sie ⦠«
»Er weiÃ, dass es kein Spiel ist. Er will nicht, dass wir ihn analysieren.«
»Aber er will, dass wir ihn befördern.«
»Das weià ich nicht. Er vergräbt sich in seinen Studien. Drei Monate lang hat er nun bei jedem Test die besten Noten bekommen. Aber er liest das Unterrichtsmaterial nur ein einziges Mal. Seine Studien drehen sich um andere Themen, die er selbst auswählt.«
»Wie zum Beispiel?«
»Vauban.«
»Festungsbau des siebzehnten Jahrhunderts? Was denkt er sich dabei?«
»Sie verstehen also das Problem.«
»Wie kommt er mit den anderen Kindern zurecht?«
»Ich glaube, der angemessene Begriff ist Einzelgänger. Er ist höflich. Er gibt nichts preis. Er fragt nur, wenn er sich für etwas interessiert. Die Kids in seiner Frischlingsgruppe halten ihn für seltsam. Sie wissen, dass er bessere Ergebnisse hat als sie, aber sie hassen ihn nicht. Sie behandeln ihn wie eine Naturkraft. Er hat keine Freunde, aber auch keine Feinde.«
»Es ist interessant, dass sie ihn nicht hassen. Sie sollten es eigentlich, wenn er sich so distanziert verhält.«
»Ich glaube, das ist eine Fähigkeit, die er auf der StraÃe gelernt hat â Zorn von sich abzuwenden. Er selbst wird nie zornig. Vielleicht haben sie deshalb aufgehört, ihn wegen seiner GröÃe zu hänseln.«
»Nichts von dem, was Sie mir erzählen, legt nahe, dass er das Potenzial zum Kommandanten hat.«
»Zutreffender wäre wohl zu behaupten, dass er versucht, das Potenzial zum Kommandanten zu zeigen und dabei versagt.«
»Also ⦠was glauben Sie, dass er tut?«
»Er analysiert uns.«
»Er sammelt Informationen, ohne selbst welche zu geben. Glauben Sie wirklich, dass er so raffiniert ist?«
»Er ist auf der StraÃe am Leben geblieben.«
»Ich finde, es wird Zeit, dass Sie ihn ein wenig sondieren.«
»Und ich ihn wissen lasse, dass seine Zurückhaltung uns beunruhigt?«
»Wenn er so clever ist, wie Sie glauben, weià er das bereits.«
Bean hatte nichts dagegen, schmutzig zu sein. Immerhin hatte er Jahre verbracht, ohne zu baden. Ein paar Tage störten ihn nicht. Und falls es die anderen störte, behielten sie ihre Meinung für sich. Sollten sie doch über ihn klatschen. Kleiner und jünger als Ender! Beste Noten bei jedem Test!
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