Enders
aufreißen und unseren Schmerz vertiefen würde.
Hyden und ich bekamen solche Übung im Aufspüren von Metallos, dass wir inzwischen manchmal ohne Ernie loszogen. Wenn Hyden jemanden berühren musste, benutzte er ein Handtuch oder seine Jacke als Barriere. Wir waren inzwischen lockerer im Umgang miteinander, aber er hatte mir immer noch nicht erzählt, was es mit dieser übersteigerten Berührungsangst auf sich hatte. Eines Tages, als wir wieder zu zweit auf Chipträger-Jagd waren und ein längeres Stück Autobahn fahren mussten, beschloss ich, ihn erneut danach zu fragen.
»Hyden, was ist mit dir passiert? Warum weichst du jeder Berührung aus?«
Er schwieg lange und hielt eine Weile die Luft an, als überlegte er, ob er mir antworten solle oder nicht. Schließlich atmete er so heftig aus, dass es wie ein Seufzer klang. Erleichterung? Ich hoffte es. Aber vielleicht war er auch verärgert.
»Du musst es ohnehin irgendwann erfahren. Es gab eine Zeit, in der ich noch nicht mit meinem Vater zerstritten war. Im Gegenteil, wir arbeiteten gemeinsam. Ich befand mich mit ihm im Labor. Meine Mutter war auch dort. Sie hatte uns eben etwas zu trinken gebracht. Dann kam es zu diesem … Vorfall. Eine Explosion. Wir fanden nie heraus, was sie ausgelöst hatte. Mein Vater blieb unversehrt, aber meine Mutter und ich erlitten Verbrennungen.« Bei dem Wort geriet seine Stimme ins Stocken. »Wir wurden operiert, erhielten jede nur erdenkliche Behandlung, aber die Schmerzen waren unerträglich. Monatelang konnte uns niemand berühren.«
»Das ist ja entsetzlich.«
»Schließlich versuchten sie es mit einer Therapie zur Desensibilisierung der Haut, aber auch das half nicht. Schon der Hauch einer Berührung löste Schreikrämpfe aus.«
»Wann war das?«
Er umklammerte das Lenkrad fester. »Der Unfall geschah vor zwei Jahren. Sie sagen, ich hätte Glück gehabt. Dass es früher keine Überlebenschance gegeben hätte. Und sieh mich an – rein äußerlich merkt man gar nichts mehr.«
Er schob sein Hemd ein Stück zurück und hob den Arm. Die Haut war makellos.
»Aber wenn deine Haut wieder heil ist …«
»Sie ist es. Und meine Nerven ebenfalls.«
»Warum dann …?«
»In meinem Gehirn befindet sich eine Art Fehlschaltung. Es empfindet Schmerz, sobald mich jemand berührt.«
»Und wenn du selbst jemanden berührst …?«
»Das geht nur mit irgendeiner Schicht dazwischen. Mit meiner Jacke beispielsweise. Aber nicht mit nackter Haut.«
»Die Jacke hast du getragen, als du mich im Einkaufszentrum aus der Gefahrenzone gezerrt hast.«
Er nickte.
»Es ist erst zwei Jahre her. Kann es sich irgendwann bessern?«, fragte ich.
»Falls sich herausstellt, dass es sich um eine reine Phobie handelt – ja. Aber das steht noch nicht fest. Für mich fühlt es sich auch nicht so an.«
Ich starrte die verwitterten Reklametafeln neben der Autobahn an. Niemand konnte es sich heutzutage leisten, sie zu mieten. Dann kam mir blitzartig ein Gedanke.
»Ich glaube, ich verstehe jetzt. Nach dem Unfall wolltest du den Körper-Gehirn-Transfer für dich und deine Mutter. Deshalb hast du den Chip erfunden.«
Er holte wieder tief Luft. Nur dass ich ihn nicht ausatmen hörte.
»Ich hoffte auf eine ganze Reihe von Erfindungen.« Seine Stimme klang so müde.
»Aber?«
»Sie starb an den Komplikationen, noch bevor ich den Chip fertigstellen konnte.«
»Und dann verfolgte dein Vater seine eigenen Ideen.«
»Er belog mich von Anfang an über die wahren Ziele von Prime«, sagte er langsam. »Und als ich erkannte, was er vorhatte, war es zu spät.«
Wir fuhren noch eine halbe Meile, als der Scanner ein Signal auffing.
»Es kommt aus südlicher Richtung«, stellte ich fest. »Nimm die nächste Ausfahrt.«
Hyden verließ die Autobahn und wandte sich nach rechts. Wir fuhren ungefähr eine Meile. Der Scanner zeigte an, dass wir nicht mehr weit von unserem Ziel entfernt waren.
Ich deutete auf die andere Straßenseite. »Das Signal kommt von dort drüben.«
Wir sahen uns um und sahen nirgends Starters. Nur Enders.
»Die Nebenstraße dort«, sagte Hyden.
Er bog nach rechts ab, und schon bald entdeckten wir einen dunkelhaarigen Starter, mittelgroß, gut aussehend, mit einem offenen Holzfällerhemd über einem T -Shirt. Er lehnte an einem Betonpflanztrog und nahm gerade einen Schluck aus seiner Wasserflasche.
Hyden bremste und hielt am Straßenrand an. Er ließ den Motor laufen, während wir den Jungen eingehend musterten.
»Seine Klamotten sehen
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