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Enders

Enders

Titel: Enders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lissa Price
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aufgewachsen waren. Jetzt lag er verlassen in der Senke nördlich von Los Angeles. Die meisten Häuser, an denen wir vorbeikamen, waren mit Brettern vernagelt und mit roter Farbe markiert. In einigen Vorgärten standen Schilder mit dem Hinweis »Umgezogen«, doch sehr viel häufiger lasen wir das bedrohliche Wort »Abbruch«.
    Der Anblick erinnerte mich an die schlimmste Zeit meines Lebens. Als sämtliche Eltern an der Sporenseuche erkrankten, weil sie nicht geimpft waren. Als die Marshals kamen und sie in »Quarantänestationen« verfrachteten, wo sie auf ihren Tod warteten. Als die Starters, die keine Großeltern oder sonstige Angehörige hatten, zwangsweise in Waisenhäuser eingeliefert wurden. Das hier waren die Häuser unserer Freunde und Nachbarn, die Häuser der Surratts, der Perrys und der Rogers. Verlassen, die Vorgärten verdorrt und von Unkraut überwuchert, von den Behörden zum Abriss vorgesehen. Das waren die Häuser, in denen wir Geburtstagspartys und Grillfeste gefeiert oder zu Halloween unsere Bettelsprüche aufgesagt hatten.
    Eine Geistergegend.
    Dann fuhren wir an Michaels Haus vorbei. Ich sah im Seitenspiegel, dass er sich umdrehte und es lange betrachtete.
    »Sollen wir anhalten?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. Hyden sah mich mit hochgezogenen Brauen an.
    »Er hat da mal gewohnt«, erklärte ich.
    Hyden nickte. »Dann kennt ihr euch von früher?«
    »Schon«, sagte ich. »Aber wir haben uns nicht so oft …«
    »Wir sind nicht miteinander gegangen, wenn du das meinst«, unterbrach mich Michael.
    »Verstehe.« Wieder nickte Hyden. »Geht mich auch nichts an.«
    Wir fuhren schweigend ein paar Straßenblöcke weiter. Ich deutete nach rechts. »Da ist es.«
    Er hielt vor unserem Haus an. Ich blieb sitzen und starrte aus dem Fenster. Ein schlampiger Stacheldrahtzaun war um das Grundstück gezogen, so eng, dass er die Rosensträucher zu ersticken schien.
    Die kostbaren Rosen meiner Mutter waren verdorrt, die Büsche dornenbewehrte Skelette, die ihre Zweige flehend nach einem Retter ausstreckten. Nach einem Retter, der nie kam.
    Ich verdrängte die Tränen, bevor sie sich in eine Flut verwandeln konnten. Michael beugte sich vor und legte mir eine Hand auf die Schulter.
    »Callie«, sagte er. »Kommst du?«
    Ich drückte entschlossen die Türklinke herunter.
    Aber Hyden bremste mich. »Wartet!«
    »Warum?«
    Er hielt zwei Gasmasken hoch und warf eine davon Michael zu.
    Der Gedanke, in meinem eigenen Haus eine Schutzmaske zu tragen, machte mich fertig. »Nein«, widersprach ich. »Das ist mein Haus!« Hier hatte ich mit meinen besten Freundinnen Pyjamapartys gefeiert. Schokokekse gebacken. Uns jeden Freitag zu Pizza getroffen. Gasmasken hatten hier nichts verloren.
    »Es könnte gefährlich sein, selbst wenn die Sporen vernichtet sind«, warnte Hyden. »Die Chemikalien, die sie damals auf die Häuser sprühten, waren hochgiftig.«
    Michael strich die Riemen seiner Maske glatt. »Er hat recht.«
    Hyden reichte ihm Handschuhe nach hinten.
    »Das ist mir egal. Es ist mein Zuhause, versteht ihr?« Ich öffnete die Tür und stieg aus. »Es ist immer noch mein Zuhause.«
    Hyden und Michael trugen ihre Masken, als sie mir ins Freie folgten. Hyden durchtrennte den Drahtzaun mit einem Seitenschneider. Michael spähte die Straße auf und ab. Nirgends war ein Lebenszeichen zu erkennen. Selbst die Eichhörnchen hatten offenbar die Gegend verlassen.
    Wir gingen den Kiesweg hinauf, und meine Schritte wurden immer langsamer. Mein Heim. Auf dieser Straße hatten wir gespielt, dieser Platz war voller Leben und Lachen gewesen. Nun herrschte hier tödliche Stille. Der üppige grüne Rasen, auf dem mein Vater mit Tyler Ball gespielt hatte, war vergilbten harten Unkrautstängeln gewichen.
    An der Haustür blieben wir stehen. Jemand hatte den Eingang mit Brettern vernagelt und mit knallroter Farbe »Abbruch« darauf gesprüht. Eine fröhliche Melodie erklang. Sie kam von dem kleinen, gerahmten Holo an der Tür, der durch unsere Anwesenheit aktiviert wurde. Es war die letzte Version, die meine Mutter entworfen hatte – ein Familienfoto von uns. Wir standen lächelnd da und begrüßten die Besucher mit einem gut gelaunten »Hallo«. Ein roter Farbspritzer verunzierte die Ecke des solaraktivierten Bilds.
    Meine Knie gaben nach.
    Michael schaute mich an. »Willst du ihn mitnehmen?«
    Ich nickte. Er nahm sein Taschenmesser und löste den Rahmen von der Tür ab. »Hier.«
    Ich schob ihn in meine Brieftasche.
    Hyden

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