Enders
leise Hoffnung keimte in mir auf, dass es uns doch noch irgendwie gelang, alles, was wir uns wünschten, zurückzugewinnen.
Hyden verwandelte den Wagen für die Nacht in ein Schlafquartier. Für sich selbst kippte er den Fahrersitz in Liegeposition – in erster Linie wohl, um versehentliche Berührungen zu meiden.
Michael und ich teilten uns den Laderaum. Das war ohne Decke und Kissen ein wenig unbequem, aber längst nicht so schlimm wie die harten Böden der verlassenen Bürogebäude, in denen wir während des letzten Jahrs geschlafen hatten, oder gar die Nächte in der Gefängniszelle von Institut 37.
»Alles okay?«, fragte Hyden von seinem Platz aus.
»Ich beschwere mich nicht.«
»Aber du raschelst dahinten herum wie ein hyperaktives Eichhörnchen«, sagte er. »Wenn du nicht bald Ruhe gibst, fahre ich die Trennscheibe hoch.«
Ich warf einen Blick zu Michael hinüber. Er schlief bereits tief und fest. Es war ein traumatischer Tag und eine lange Nacht zwischen dem Überfall, dem Gasangriff und Ernies Schussverletzung vergangen. Wir hatten all unsere Freunde an Brockman verloren. Und …
Redmond …
Ich wachte verwirrt im Dunkel auf und wusste nicht recht, wo ich mich befand. Die Wände ringsum waren mit Waffen gepflastert. Dann hörte ich gleichmäßige Atemgeräusche, und mir dämmerte, dass Michael, Hyden und ich eine Auszeit im SUV nahmen. Auf dem Armaturenbrett und im Wageninnern glommen ein paar Lichtpunkte wie Glühwürmchen in einer Höhle. Durch die getönten Scheiben konnte ich die kalten Leuchtröhren der Tiefgarage erkennen.
Während ich konzentriert durch das spiegelnde Glas spähte, nahm ich meine Umgebung mit einem Mal total verschwommen wahr. Gleich darauf hob sich der Schleier wieder, aber das Fenster schien sich in einen Monitor verwandelt zu haben. Und auf diesem Monitor spielte sich eine Szene ab, die mich voll in ihren Bann schlug. Ich war im Rune Club und bahnte mir einen Weg über die Tanzfläche, vorbei an den aufgestylten Teens, meist Enders in Spenderkörpern, wie Helena, die mich gemietet hatte. Ich besetzte einen Platz an der Bar und zeigte dem Barkeeper ein kleines Holo von einem Mädchen. Es war Emma, Helenas vermisste Enkelin – blond und selbstsicher, mit Helenas kühner Nase und kräftigem Kinn.
Wieder eine von Helenas Erinnerungen, die sich diesmal ein wenig anders abspulte, nicht in meinem Kopf, sondern vor meinen Augen. Sie musste den Rune Club aufgesucht haben, als sie meinen Körper benutzte, um sich nach Emma zu erkundigen. Aber der Barkeeper schüttelte nach einem kurzen Blick auf das Holo nur den Kopf. Und ich spürte eine tiefe Enttäuschung, die mir fast das Herz brach.
Helenas Trauer – eine Momentaufnahme aus der Vergangenheit, eingebrannt in meine Gedächtnisspeicher. Ich erinnerte mich nicht nur an die Bilder, sondern auch an die Gefühle, die zu diesen Bildern gehörten, als seien es meine eigenen.
Die Vision verblasste. Ich war wieder im Wagen und starrte die Fensterscheibe an. Helena musste vor etwa zwei Monaten im Club gewesen sein. Und jetzt tauchte die Erinnerung wieder auf.
Ich hatte genug eigene Erinnerungen, aber die Rückblenden von Helena prägten sich tief in mein Denken ein. Was von dieser Szene haften blieb, war ihre enorme Entschlossenheit – das überwältigende Gefühl, dass sie die Suche nicht aufgeben würde. Und ich schwor mir, ihren Weg zu Ende zu gehen.
»Ich hatte letzte Nacht wieder eine Erinnerung, die eigentlich Helena gehörte«, sagte ich am nächsten Morgen.
Wir waren alle etwa zur gleichen Zeit in Hydens verdunkeltem SUV aufgewacht, mit verknautschten Klamotten und einem pelzigen Geschmack im Mund.
»Aufschlussreich?«, erkundigte sich Hyden.
»Ja. Und sie lenkte meine Gedanken wieder auf die Stimme meines Vaters.«
Hyden stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete die Heckklappe. Michael hockte sich neben mich und lächelte sanft.
»Es ist nicht leicht, Cal, all diese Verluste zu verkraften«, sagte er. »Aber darüber haben wir schon oft gesprochen.«
Hyden richtete den Laderaum wieder her. »Callie, wir waren im Staatsarchiv und haben uns selbst überzeugt …«
»Dennoch bleibt das Gefühl«, unterbrach ich ihn.
Er sah mich einen Moment lang forschend an. Dann nickte er. »Ich verstehe. Und was hast du nun vor?«
Ich überlegte einen Moment. Dann stand mein Entschluss fest.
»Ich will noch einmal heim. Bitte.«
kapitel 13 Hyden, Michael und ich fuhren durch den Vorort, in dem Michael und ich
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