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Enders

Enders

Titel: Enders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lissa Price
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streifte die Ärmel bis zu den Handschuhen herunter.
    »Wie kommt man jetzt am besten ins Haus?«
    Ich führte Michael und Hyden in den Hof. Braun verdorrtes Gras, Tylers Spielsachen überall verstreut und umgekippt – ein kleines Fahrrad, ein kaputter Metallroboter. An der Schwelle zum Hintereingang blieb ich stehen und fuhr mit der Hand über den Sensor.
    Die Tür sprang nicht auf.
    »Der Strom ist abgestellt«, meinte Hyden.
    Michael benutzte wieder sein Messer, um das Schloss zu entriegeln. Hyden stemmte den Seitenschneider in den schmalen Spalt, und gemeinsam brachen sie die Tür auf.
    Im Haus herrschte Dämmerung. Alles war noch genau so, wie Tyler und ich es an jenem Tag verlassen hatten, als wir vor den Marshals fliehen mussten. Die Sonne kämpfte sich mühsam durch die zugezogenen Vorhänge und tauchte die Räume in einen trüben gelben Schein. Leider trugen wir keine Handleuchten mehr bei uns.
    Michael zog einen der Küchenvorhänge zurück. »Wo willst du anfangen?«
    »Im Arbeitszimmer meines Vaters«, sagte ich.
    Ich widerstand der Versuchung, all die Dinge an mich zu nehmen, die sentimentale Gefühle in mir auslösten – den letzten Pullover, den meine Mutter gerade gestrickt und das letzte Buch, das mein Vater gerade gelesen hatte, Tylers alte Babyschuhe und mein letztes gutes Zeugnis, das noch in seiner Schutzhülle auf dem Kühlschrank lag. Aber wir mussten uns auf das Wesentliche konzentrieren. Wir gingen die Papiere meines Vaters durch, seine Ablage. Hyden untersuchte Dads Airscreen.
    »Der ist im Moment natürlich nicht funktionsfähig«, sagte Hyden. »Ich muss ihn erst laden.«
    Ich winkte ab. »Nimm ihn einfach mit.«
    Hyden wurde ungeduldig, weil wir seiner Meinung nach zu viel Zeit mit dem Durchforsten von Schubladen und Ordnern verbrachten. Im Endeffekt fanden wir nichts, das uns einen Hinweis auf seinen Aufenthalt gegeben hätte – falls er noch lebte.
    Wir wandten uns zum Gehen. Ich hatte einige Andenken in eine Schachtel gepackt und überlegte kurz, ob ich Dads persönliche Unterlagen mitnehmen sollte. Hyden blickte mir über die Schulter, als ich in den losen Zetteln und Geschäftskarten kramte.
    »Halt«, sagte er plötzlich. »Warte mal.«
    Er zog eine Geschäftskarte aus dem Stapel.
    Im nächsten Moment setzte sich automatisch ein Reklame-Holo in Gang. Ein stampfender Beat ertönte, und über die Karte begannen Starters zu tanzen.
    »Was ist das denn?«, fragte Michael.
    »Der Rune Club«, erklärte Hyden.
    Er hatte recht. Die Worte auf der Karte sagten alles.
    Sei jemand anders – im Club der unbegrenzten Möglichkeiten!
    Der Club, in dem ich Madison und Blake kennengelernt hatte.
    Alle drei starrten wir die Karte an. »Mein Vater und der Rune Club?«, stammelte ich. »Was hat das zu bedeuten?«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, wie mein Vater an diese Karte gekommen war. Der Rune Club war ein Treff für falsche Enders und echte Teens. Was hatte ein Middle – und insbesondere mein Vater – dort zu suchen gehabt?
    Michael nahm den Zettelkasten an sich. »Wir müssen los.«
    »Nur noch eine Minute. Bitte.«
    »Wir warten draußen auf dich«, sagte Hyden.
    Ich stand im Arbeitszimmer meines Vaters und sah mich um. Meine Blicke wanderten über die Schreibtischplatte. Auf einem Papierstapel lag eine seiner Armbanduhren. Sie war altmodisch, als stammte sie aus einem dieser alten Kinofilme, die er so liebte. Er hatte zwei davon. Seltene Sammlerstücke.
    Aus irgendeinem Grund streifte ich sie über mein Handgelenk. Sie war zu groß und schwer. Zu schwer. Ich nahm sie wieder ab und legte sie zurück an ihren Platz. Und dann fiel mir etwas auf dem obersten Brett des Bücherregals ins Auge. Dads alter Fedora-Hut. Ich stieg auf einen Stuhl, holte ihn herunter und drückte meine Nase tief in den weichen Filz. Er roch immer noch nach ihm, irgendwie nach Wald und schwerer Wolle. Ich atmete den herben Duft tief ein, als könnte ich dadurch meinen Vater wieder zum Leben erwecken.
    Aber es gelang mir nur, den Geruch festzuhalten und in meiner Erinnerung zu speichern.
    Ich hielt den Hut vor mir und strich über den Filz. Er hatte Dads Aura, aber er war nicht Dad. Ich legte ihn zurück auf den Schreibtisch, neben die Uhr.
    Im Zentrum von L.A. herrschte nachts nicht überall das gleiche Gedränge. In den meisten Straßen war es ruhig, aber wir umfuhren bewusst die Rathausgegend, wo meist Scharen von Demonstranten kampierten, um gegen irgendwelche Verordnungen zu protestieren.
    An unserem Ziel

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