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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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dieser Internierten befand sich innerhalb eines Jahres aber wieder auf freiem Fuß. »Nachdem sich die Erwartung eines NS-inspirierten Guerilla-Widerstands gegen die Besatzungsmächte als irrig erwiesen hatte«, so der Historiker Lutz Niethammer, »reduzierten sich die Haftgründe für die Amerikaner auf die Verfolgung von Kriegs- und Menschheitsverbrechen, und die Internierung verwandelte sich in eine Art Untersuchungshaft in Erwartung der Entscheidung über die Organisationsanklagen vor dem Nürnberger Gerichtshof.«
    In der Sowjetisch Besetzten Zone hingegen blieben viele kleinere und mittlere Funktionsträger der NSDAP ohne Urteil über längere Zeit inhaftiert. Dass der größte Teil von ihnen minderbelastet oder unschuldig war, hatte Iwan A. Serow, der Bevollmächtige des sowjetischen
Geheimdiestes NKWD für die sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland, schon 1946 an Stalin gemeldet. Doch erst als Moskau im Sommer 1948 das offizielle Ende der Entnazifizierung verkündete, kamen 27 749 von 40 000 Häftlingen ohne Urteil frei.
    In der SBZ beziehungsweise DDR wurde die Verfolgung von Nazi-Verbrechern zudem von Anfang an verknüpft mit der Verfolgung antisozialistischer Kräfte. Zwar billigte das Besatzungsrecht neben der Verfolgung von NS-Unrecht auch die Verfolgung strafbarer Handlungen, die die Sicherheit der Besatzungsmacht gefährdeten. Aber daraus entwickelte sich eine breite Verfolgung von politisch Andersdenkenden. »NKWD-Personal bewacht die Gefangenen, verwaltet das System«, so Eugen Kogon bereits 1946. »Gegen frühere Nationalsozialisten? Gegen jedermann, der als ›Staatsfeind‹ verdächtig ist. Oder als ›Agent einer ausländischen Macht‹. Oder als ›Klassenfeind‹, als ›Kulak‹, als sonst etwas.«
    Die Deutschen, die wegen Kriegs- und NS-Verbrechen von den sowjetischen Militärtribunalen verurteilt wurden, stellten nur achtzehn Prozent der Bestraften (4500 Fälle). In 72 Prozent der Fälle (18 000 Personen) wurde der berüchtigte Artikel 58 des sowjetischen Strafgesetzbuches (»Konterrevolutionäre Verbrechen«) herangezogen, nach dem »Spionage«, »Propaganda« und Mitgliedschaft in »konterrevolutionären Organisationen« unter Strafe standen. So wurden 10 000 wenig oder gar nicht belastete Jugendliche aufgrund angeblicher Mitgliedschaft im »Werwolf« zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt. Dieser noch kurz vor Kriegsende gegründeten NS-Freischärler-Bewegung wurde eine anhaltend subversive Bedrohung zugeschrieben, obwohl die Organisation völlig unbedeutend geblieben war. 80
    Die geradezu paranoide Suche nach »Konterrevolutionären« führte teilweise zu aberwitzigen juristischen Konstruktionen. »Unerlaubter Waffenbesitz wurde zur Sabotage und zum Umsturzversuch«, so der Professor für Straf- und Ostrecht Friedrich-Christian Schroeder, »die Nichtbefolgung der Registrierungspflicht für ehemalige NSDAP-Funktionäre zur Spionage- und Sabotagetätigkeit, die
Verteilung antikommunistischer Flugblätter zur versuchten Machtergreifung, zu versuchten Terrorakten, versuchter Diversion, die Verbindung zu sozialdemokratischen Kreisen zu Spionage, antisowjetischer Propaganda und Bildung einer Untergrundbewegung.«
    Da die Militärtribunale entgegen einem Erlass des Obersten Sowjets der UdSSR vom 22. Juni 1941 in der SBZ/DDR auf fremdem Boden und außerhalb eines Kriegszustands agierten, gelten ihre Urteile vielen Juristen prinzipiell als rechtsungültig. Die Verfahren entsprachen zudem nicht den geringsten rechtsstaatlichen Standards. Aussagen wurden in der Regel durch Schlafentzug, Schläge oder andere Folter erpresst, die Anklageschriften nicht oder nur auszugsweise übersetzt. Verteidiger waren bei den Prozessen meist ebenso wenig zugelassen wie Entlastungszeugen – so wie im Fall von Horst Kirchner und seiner Ehefrau Christa-Maria, die am 14. April 1946 in Dresden verhaftet wurden, weil sie spioniert und antisowjetische Propaganda betrieben haben sollten.
    Horst Kirchner war Journalist, im Herbst 1945 beauftragt, im sowjetischen Sektor Berlins das Neue Leben als Jugendmagazin der FDJ aufzubauen. Aufgrund politischer Differenzen hatte er Arbeitgeber und Sektor allerdings bald gewechselt und im März 1946 bei der Presseagentur des American Information Service begonnen. Für die Sowjets eine klare Sache: Er war ein Verräter und Spion.
    Die Eheleute wurden im Keller eines beschlagnahmten Privathauses am Rande von Berlin untergebracht, Christa-Maria, die einzige Frau in

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