Endlich wieder leben
als Erste in der Sowjetunion eine westliche Zeitschrift in russischer Sprache heraus. »Sie ist meine Sonderbotschafterin«, erklärte der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher. »Sie hat in Moskau mehr erreicht als drei Botschafter zuvor.«
Die Verlagschefin selbst wurde zunehmend mondän, mochte es gern exklusiv und auffällig. Zum Friseur flog sie nach Paris, in Florenz und Rom kaufte sie Designermode und Haute Couture. Ihre Abendroben mit Stickereien und Perlen führte sie auf Partys, Bällen, Modeschauen oder Filmgalas aus, etwa wenn die Burda-Bambis an große Stars verliehen wurden und sie Freunde traf wie Franz Josef Strauß. Sportwagen wurden ihr Hobby. Hatte sie sich im Verlag über etwas geärgert, konnte sie in ihren knallgelben Karmann Ghia mit roten Ledersitzen steigen und sich die Wut im Geschwindigkeitsrausch
wegfahren. Zwei Mal im Jahr verschwand sie für mehrere Wochen nach Sizilien, wo sie sich zwei Häuser gebaut hatte.
2005 starb Aenne Burda im Alter von 95 Jahren. Sie hat sich nie zur Verfechterin von Emanzipation gemacht. »Ich bin schon emanzipiert geboren«, pflegte sie zu sagen. Sie hat Selbstbestimmung einfach gelebt.
Selbstbestimmt war auch das Leben von Beate Uhse, der Frau, die später Europas größten Erotikkonzern führen sollte. 1919 als Tochter eines Gutsbesitzers und einer Ärztin in Ostpreußen geboren, hatte sie nicht, wie geplant, eine Haushaltslehre absolviert, vielmehr mit siebzehn Jahren den Pilotenschein gemacht, als Einfliegerin in einem Flugzeugwerk gearbeitet und danach während des Krieges Jagdmaschinen, Sturzkampfbomber und Strahljäger an die Front überführt. Ihr Ehemann, ein einstiger Fluglehrer, war ein Jahr vor Kriegsende umgekommen, sie selbst gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn aus Berlin in einem kleinen Siebel Fh 104-Flugzeug nach Schleswig-Holstein geflohen.
Da das Fliegen zunächst untersagt war, schlug sich Beate Uhse mit Schwarzmarktgeschäften durch und stieß dabei – sensibilisiert durch die Ärztinmutter – auf das große Problem der unerwünschten Schwangerschaften. Aufgelockerte Sexualmoral, Gelegenheitsprostitution und Sexualkontakte mit den Besatzungssoldaten führten zu einem rasanten Anstieg illegaler Abtreibungen. Etwa 10 000 Frauen starben jährlich an den Folgen. 109 Beate Uhse setzte sich hin und schrieb nieder, wie man mit der Knaus-Ogino-Methode verhüten kann. Anfangs steckte sie die Werbezettel für die Aufklärungsschrift unter dem kryptischen Titel Schrift X in Hausbriefkästen, später verschickte sie sie an Anschriften aus den Telefonbüchern. Als neben Aufklärung auch Produkte wie Kondome gefragt waren, erweiterte sie das Broschürengeschäft gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann Ernst-Walter Rotermund zu einem kleinen Versandhandel. 1957 kauften bereits 200 000 Kunden bei ihr ein: Spezialpräservative, Erotikdragees, Verhütungsmittel, Dildos, Negligés aus Perlon,
Schriften über Das Geschlechtsleben der Frau und Das Geschlechtsleben des Mannes .
Um nicht in die sündhafte Ecke gestellt zu werden, bezeichnete sich die kurzhaarige, sportliche Beate Uhse immer als »glückliche Ehefrau und Mutter« und ließ sich auf einem Werbefoto freundlich lächelnd in Overall und weißem Baumwollshirt beim Autowaschen ablichten. Sauberer ging’s nicht. Sie wolle nicht an der Ehe rütteln, lautete ihr Credo, sie vielmehr durch Minderung der sexuellen Probleme bewahren und stärken. »Eines musste ich dazu mitbringen: den Mut, einige Dinge beim Namen zu nennen, … über die eine saubere Aussprache zu führen eine Hilfe für unzählige gefährdete Ehen bedeutet.«
Die »saubere Aussprache« rief bei Teilen der Öffentlichkeit und den Kirchen aber hysterische Reaktionen hervor. Der »Unzuchtparagraph 184« brachte Uhse 2000 Ermittlungsverfahren und zahllose Gerichtsverhandlungen ein. Sittenwächter und Kirchen sahen nicht nur das Schamgefühl verletzt, sie fühlten ihre Wertegrundlage in Gefahr. Denn eine Sexualität, die nicht nur der Fortpflanzung dient und aufgrund von Verhütung folgenlos bleiben kann, untergräbt die Institution der Ehe.
Ob Beate Uhse tatsächlich eine emanzipierte Frau vorschwebte oder ein Markt, der ihre Produkte kaufte, einschließlich der Pornofilme, die sie mit 56 Jahren produzieren ließ, dürfte sich nicht endgültig ermitteln lassen. Relevant in diesem Zusammenhang ist allein die Tatsache, dass es ihr trotz Anfeindungen, Hausdurchsuchungen und Gerichtsprozessen gelang, bereits sehr früh und im
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