Endlich wieder leben
Windschatten des Kinsey-Reports 110 für die befreite Sexualität zu werben. In einem ihrer letzten Interviews erklärte sie: Wenn sie Hans Uhse geheißen hätte und ein Mann gewesen wäre, wäre ihr so viel Aufklärung nicht gelungen. »Die Tatsache, in so einem diffizilen Metier als Frau und Mutter von Kindern tätig zu sein, hält die Kritiker im Zaume. Während bei einem Mann schnell gesagt wird: dieses dreckige Schwein.«
Der Aufstieg im Westen fiel umso mehr ins Auge, als der Osten wirtschaftlich zurückblieb. Zwar wurde auch in der DDR ein sehr
hohes Wirtschaftswachstum erzielt – das Nationaleinkommen stieg um das Zweieinhalbfache. Zwar wuchsen auch in der DDR die Spareinlagen zwischen 1950 und 1961 auf das Fünfzehnfache, und das durchschnittliche Nettogeldeinkommen eines Arbeiter- oder Bauernhaushalts verdoppelte sich von 1949 bis 1960. Doch die Kaufkraft wuchs weit schneller als das Angebot. In der DDR blieb es bei der Mangelwirtschaft. Die zentrale Planwirtschaft strukturierte die verstaatlichte Wirtschaft zugunsten der Schwerindustrie und Grundstoffindustrie um und kollektivierte die Landwirtschaft. Die Folge waren Engpässe in der Konsumgüterindustrie und in der Lebensmittelversorgung. Wer unbedingt brauchte, was die Wirtschaft nicht lieferte, musste in den ebenfalls staatlichen HO-Läden (Handelsorganisationsläden) kaufen, in denen Ware frei, aber zu überhöhten Preisen angeboten wurde.
Eine Schwächung der DDR-Wirtschaft bewirkten auch die Abwanderung von Firmen und Facharbeitern in den Westen, die Abschottung vom westlichen Wirtschaftsraum und die vergleichsweise hohen Reparationsleistungen an die Sowjetunion, die zur Demontage von mehreren tausend Betrieben und zur laufenden Abschöpfung von Produkten führten. 111
Der Lebensstandard der Bevölkerung sank 1952/53 kurzzeitig sogar unter das Niveau des Jahres 1947. Zusammen mit Lohneinbußen, Normerhöhungen und Preissteigerungen entstand jene explosive Stimmung, die zum Aufstand am 17. Juni 1953 führte.
Besonders deutlich zeigte sich der Rückstand der DDR auf dem Wohnungsmarkt. Von 1950 bis 1961 wurden etwa eine halbe Million Wohnungen übergeben, die meisten davon im Wiederaufbau und als Instandsetzung. Doch sie ersetzten im Wesentlichen nur Wohnraum, der wegen Baufälligkeit gesperrt werden musste. Immerhin entstand zusätzlicher Wohnraum durch die Flucht von DDR-Bürgern in den Westen. Von den Neubauten profitierten hingegen fast ausschließlich die Einwohner von neuen »sozialistischen« Städten mit Großkombinaten wie Eisenhüttenstadt (zeitweilig Stalinstadt) oder Hoyerswerda, wo erstmals Großblock- und Plattenbauweise zur
Anwendung kam. Die Hauptstadt Ost-Berlin blieb trotz ihrer privilegierten »Schaufenster-Funktion« mit 76 000 Wohnungen (1949 bis 1961) deutlich hinter West-Berlin zurück, das im selben Zeitraum 207 000 Wohnungen fertig stellte und damit nicht einmal eine Spitzenposition unter bundesdeutschen Städten einnahm. 112
Anfangs fiel den DDR-Bewohnern der Rückstand nicht so stark auf, verglichen sie ihre Lage doch vor allem mit der gerade zurückliegenden Kriegszeit. Mehr und mehr aber rückten als Vergleichsmaßstab die Bundesrepublik und vor allem West-Berlin in den Blick, das »kapitalistische Fenster«, das mit Textilien, Schuhen, Schokolade, Südfrüchten lockte und mit dem wieder aufgebauten KaDeWe (Kaufhaus des Westens) am Wittenbergplatz eine magische Anziehungskraft entwickelte. Hier arbeiteten nicht nur mehrere hundert Verkäuferinnen aus dem Osten, hier kauften auch Tausende von Kunden aus der Osthälfte der Stadt, besonders wenn in der Vorweihnachtszeit Westschokolade zum privilegierten Umtauschkurs von 1 : 1 erhältlich war.
Mochte sich die Lebenslage der DDR-Bevölkerung bis Ende der fünfziger Jahre auch erheblich verbessern, mochten schließlich auch in der DDR Fernseher, Waschmaschinen und Kühlschränke Einzug in die Haushalte halten, die Wartburg-Produktion 1956 in Eisenach wiederbelebt werden und der Trabant ab 1957 in Zwickau vom Band laufen – Deutschland Ost erlebte nicht annähernd einen derartigen wirtschaftlichen Aufschwung wie Deutschland West.
Zum Beispiel Käthe Dippel
W issen Sie, was arme Bauern in unserer Gegend machten, wenn sie nur ein Pferd besaßen, das sie vor den Wagen spannen konnten? Dann schirrten sie auf der anderen Seite der Deichsel eine Kuh an. Das Pferd zog, die Kuh konnte nicht anders, sie musste mitziehen. So war das mit mir und meinem Mann. Er zog, und ich zog
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