Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
sie hatte ausgerechnet, was uns dieses Anwesen mit dem klingenden Namen Blind Rise Ridge kosten würde. Sie fand, je mehr Leute wir waren, desto besser – und ein bisschen frischer Wind könne doch ganz lustig sein.
Ich habe ebenfalls ein paar Freundinnen gefragt, ob sie mitkommen möchten, darunter auch Maeve. Wir haben uns in der örtlichen Bücherei kennengelernt, beim Vortrag einer buddhistischen Nonne, die die letzten acht Jahre allein in einer Höhle verbracht hatte. Das ist vermutlich eine Extremsportart in der Meditationsszene: kein Fernsehen, keine Gespräche, nicht mal Wäsche waschen. Maeve könnte Susan Boyles jüngere, attraktivere Schwester sein. Diesem Vergleich kann man sich gar nicht entziehen. Als Erstes fielen mir ihre schwarzen Lederstiefel und der Trenchcoat auf, von dem sich herausstellte, dass sie ihn selbst genäht hatte. Er war über und über mit Buttons bedeckt, die sie auf ihren Reisen in alle Herren Länder gesammelt hat. Dass sie ein grünes und ein braunes Auge hat, als hätte Gott sich nicht entscheiden können, sah ich erst, als ich unmittelbar vor ihr stand.
»Wissen Sie, an wen Sie mich erinnern?«, begann ich das Gespräch.
»Susan Boyle?«, entgegnete sie ein wenig gequält.
Das hörte sie wohl nicht zum ersten Mal.
Trotzdem kam die Unterhaltung in Gang, denn wir waren uns einig, dass die Nonne zwar wahnsinnig heiter und gelassen war, dafür aber auch eine wahnsinnig schlechte Rednerin. Ehe der Abend vorüber war, hatten wir unsere Telefonnummern ausgetauscht, und als ich mir ihre Visitenkarte am nächsten Morgen richtig ansah, stellte ich überrascht fest, dass sie Ethnologieprofessorin ist. Tags darauf schrieb ich ihr eine E-Mail, und wir trafen uns zum Mittagessen in einem kleinen Café nahe der Uni. Nach einer Weile äußerte ich mein Erstaunen darüber, dass wir so lange auf unser Essen warten mussten. Daraufhin erzählte sie mir, dass die San in Afrika ein Gift aus den Larven mehrerer kleiner Käferarten, giftigen Pflanzen, Schlangengift und giftigen Raupen herstellen. Manchmal warten sie bis zu drei Tage lang, bis ein großes Beutetier daran stirbt. Vor diesem Hintergrund war es wohl kaum das Ende der Welt, eine Dreiviertelstunde auf einen Caesar Salad zu warten.
Maeve war auch mal verheiratet (»vor ewigen Zeiten«) und führt derzeit eine sehr lockere Beziehung mit Stan, einem geschiedenen Professor für neuere Geschichte. Ihr erwachsener Sohn Jonah reist mit seiner Gitarre und seiner Freundin kreuz und quer durch Südamerika. Ihre größte Sorge gilt ihrem nächsten wissenschaftlichen Artikel, und am meisten Kopfschmerzen bereiten ihr die zweihundert Examen, die sie zweimal pro Jahr korrigieren muss. Sie gärtnert und näht gerne, geht ab und an zu Weinproben oder Sonderausstellungen in Museen und macht zweimal die Woche um halb sechs Tai-Chi, während ich gerade darüber grübele, was ich meiner Familie zum Abendessen vorsetzen soll. Eines Tages wird mein Leben auch so aussehen. Wahrscheinlich aber mit Frank.
Maeve lächelte hilflos, als ich sie fragte, ob sie ein Foto von Jonah dabeihabe. Offenbar verspüren nicht alle Mütter den Drang, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit ihrem Nachwuchs anzugeben und dazu stets ein Bild im Geldbeutel parat zu haben. Ich hingegen trage sogar eine Kette mit zwei runden silbernen Anhängern, auf denen Jamies und Aarons Namen und ihre Geburtsdaten eingraviert sind. Die Kette lege ich nie ab.
Maeve kann faszinierende Geschichten über die Kulturen und die Gebräuche der Stämme erzählen, die sie studiert hat – ein paar davon möchte man allerdings lieber nicht beim Essen hören. Hätte ich erst später im Leben Frank kennengelernt und Kinder bekommen, dann hätte ich sicher auch irgendwas Großartiges und Humanitäres gemacht, bei dem man in der ganzen Welt herumreist. Wahrscheinlich könnte ich dann »Wo bitte geht’s zum Bahnhof?« auf Zhuang und Igbo fragen. Ich könnte euch erzählen, wie die Tongaer ihre Toten begraben und die Amischen Hochzeit feiern. Stattdessen kann ich Schulbücher ohne eine einzige Luftblase in Klebefolie einschlagen und mir Spiele ausdenken, die die Folgen des Klimawandels illustrieren – alles Fähigkeiten, die die Tongaer zweifellos faszinierend fänden. Außerdem hat Frank mir zum Hochzeitstag die Verlängerung meines Abos der Reisezeitschrift Getaway geschenkt.
Mit Maeve sitze ich nicht herum, um die Zeit totzuschlagen, während unsere Kinder beim Schwimmen oder Karate sind. Ich
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