Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
psychisch fertigzumachen, indem sie sich auf seine Schwächen stürzen. Rotes Haar, Sommersprossen, eine Brille, die Körpergröße, eine Zahnspange, vorstehende Zähne. Die üblichen unverzeihlichen Sünden des Äußeren.
Aber – und das war es, was mich wirklich aufgeregt hat – Jamie war gar nicht dick. Ihr wunderschöner Körper überwand gerade die schwierige Grenze zwischen Kinderspeck und Teenager-Hormonen, hielt noch an ein wenig Bauch fest, um die knospenden Brüste zu füllen und ihr sterbenshungriges Gehirn im Umbau zu füttern.
Sie vertraute sich mir an, wenn auch nur über den üblichen Kommunikationskanal – indem sie es auf einen Streit anlegte, bis ich explodierte und dabei die Lücke freisprengte, in die sich ihre schreckliche Wahrheit ergießen konnte: Die Jungen in ihrer und den Parallelklassen bewerteten die Mädchen, von null bis zehn. Sie erzählte mir todernst, als sei das eine Tatsache, dass sie auf der Skala irgendwo zwischen vier und fünf stand. Ein Junge – sie hat mir seinen Namen genannt, und ich würde ihn auch auf der Straße erkennen – hat sie mit null von zehn bewertet. Nicht wenige Klassenkameradinnen fanden das witzig.
Ich widerstand dem Drang, ihr zu erklären, dass gerade bei diesem Jungen ein paar Amphibien in der Ahnenreihe mitgemischt haben müssten, wenn man nach seinem Äußeren ging. Aber nur, weil ich mich nicht gern als Person sehen würde, die so grausam ist, ein Kind als hässlich zu bezeichnen. Selbst ein hässliches Kind nicht. Außerdem gebe ich mir große Mühe, meiner Tochter zu vermitteln, dass wir Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen. Da wäre es nicht gerade förderlich, ihr zu sagen, dass die Meinung eines Jungen mit einem Gesicht wie eine Agakröte nicht entscheidend für ihr Selbstbild sein sollte. Ich konnte ihr zwar begreiflich machen, wie unfair seine Bewertung war. Trotzdem wäre sie in diesem Moment glücklicher gewesen, wenn selbst dieser Shrek-ähnliche Fiesling ihr ein paar Punkte mehr gegeben hätte. Das tut weh.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in der Schule unter derart nackter Grausamkeit gelitten hätte. Gut möglich, dass ich da etwas verdrängt habe. Glaubt mir, Jamie ist viel hübscher, als ich es je war. Ich musste mit dieser riesigen Nase herumlaufen, und ich war schon damals sehr groß. Wie Virginia ragte ich über den meisten Jungen auf. Mädchen wie ich müssen oft warten, bis wir erwachsen sind, ehe uns echte Männer begegnen, die uns sexy finden. Die Typen mit Brille. Die sich nicht wichtigmachen oder zu laut lachen. Die in Kunst immer eine Eins hatten. Die in der Schule wahrscheinlich selbst als »Streber« oder »Nerd« bezeichnet wurden.
Aber wie Jamie wachsen diese Jungen irgendwann über den Stacheldraht der kindischen Beschimpfungen hinaus. Im wahren Leben können sich die willkürlichen Grausamkeiten der Beliebtheit auf dem Schulhof nämlich nicht halten. Da wachsen ihrer Intelligenz dann Muskeln, und ihre Kreativität beginnt zu strahlen. Das möchte ich Jamie erklären, damit sie weiß, was sie erwartet. Allerdings will ich ihr keine Angst einjagen, indem ich ihr erzähle, dass Männer mit solidem Selbstbewusstsein und scharfem, humorvollem Geist sich schon bald Fantasien über sie als »heiße Brünette« und ihren starken, wunderbaren Körper hingeben werden, der vor meinen Augen neue Formen annimmt. Sie ist schließlich erst dreizehndreiviertel.
Just in dieser jugendlichen Unsicherheit über den eigenen Wert auf einer Skala von eins bis zehn steckt derselbe Impuls, der intelligente Frauen wie CJ dazu treibt, jedes Fältchen ausbügeln zu lassen. Das ist nichts als die Erwachsenenvariante der Er-wird-mich-nie-mögen-wenn-ich-nicht-hübsch-bin-Angst. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Dennoch will ich weder Jamie völlig überzogene Eitelkeit vorleben noch jemals so verzweifelt sein, dass ich mit Hilfe von Botox in Jugend erstarre.
Neulich habe ich einen Aufkleber in einer Umkleidekabine gesehen, in der ich Badeanzüge anprobierte. Ich habe ihn mit meinem iPhone abfotografiert. Bitte nicht mehr als sechs Kleidungsstücke mit in die Kabine mitnehmen. Es ist nicht gestattet, Ihren Körper mit einer retuschierten Sparlaune der Natur zu vergleichen. Diese Umkleidekabine wird zu Ihrer Fröhlichkeit überwacht. Bitte kaufen Sie nur Artikel, in denen Sie sich gut fühlen. Am liebsten würde ich das Universum mit solchen Botschaften überschwemmen, damit nie wieder ein junges Mädchen in den Spiegel
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