Endlich
Seite zu schlagen? Ich hoffe doch, dass kein ernster Mensch je mit einer derart billigen Aktion zu beeindrucken wäre. Und der Gott, der Feigheit und Unaufrichtigkeit belohnen und den unaufhebbaren Zweifel bestrafen würde, ist einer der vielen Götter, an die ich nicht glaube. Ich will jetzt nicht Gutgemeintem gegenüber grob werden, aber wenn der 20. September kommt, dann belästigt bitte nicht den tauben Himmel mit euren unnützen Anrufungen. Oder – natürlich – nur dann, wenn ihr selbst euch dann besser fühlt.
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Viele Leser sind mit der Stoßrichtung, vielleicht auch dem Wortlaut der Definition von »Gebet« vertraut, die Ambrose Bierce in seinem Wörterbuch des Teufels gibt. Sie lautet folgendermaßen und ist überaus leicht zu begreifen:
Gebet:
Eine Eingabe, die Naturgesetze möchten doch zugunsten des Bittstellers aufgehoben werden, welcher sich gleichzeitig für zutiefst unwürdig erklärt.
Jedermann kann den Witz dieses Eintrags erkennen: Der Mann, der betet, glaubt, Gott habe etwas falsch angeordnet, glaubt aber auch, er könne Gott instruieren, wie es richtig wäre. Halb verschüttet in diesem Widerspruch liegt die beunruhigende Idee, dass niemand da ist, der wirklich zuständig wäre, oder jedenfalls niemand mit moralischer Autorität. Der Appell zum Gebet hebt sich selbst auf. Wir, die wir uns nicht anschließen, würden unsere Abstinenz damit rechtfertigen, dass wir uns dem sinnlosen Prozess ständiger Bestätigung nicht unterziehen müssen oder wollen. Entweder genügen unsere Überzeugungen sich selbst oder nicht: Jedenfalls haben wir es nicht nötig, in einer Menschenmenge zu stehen und ständige und einförmige Beschwörungen von uns zu geben. Dies erfordert eine der Religionen fünfmal am Tag, und andere Monotheismen wollen es in fast ebenso hoher Zahl hören, während alle mindestens einen ganzen Tag dem ausschließlichen Ruhm des Herrn reservieren und der jüdische Glaube in seiner ursprünglichen Form aus einer langen Liste von Verboten zu bestehen scheint, die vor allem anderen befolgt werden müssen.
Der Tonfall der Gebete entspricht der Torheit des Gebots, insofern Gott um das gebeten oder ihm für das gedankt wird, was er ohnehin tun wollte. So beginnt der jüdische Mann den Tag damit, dass er Gott dankt, weil dieser ihn nicht als Frau (oder Nichtjuden) erschaffen hat, während die Jüdin sich darauf beschränkt, dem Allmächtigen dafür zu danken, dass er sie geschaffen hat, »wie sie ist«. Anscheinend freut es den Allmächtigen, diesen Tribut an seine Macht und den Dank derer, die er erschaffen hat, zu empfangen. Allerdings schiene, wäre er tatsächlich allmächtig, das von ihm Vollbrachte recht schmal.
Ziemlich dasselbe gilt für die Idee, dass das Gebet, weit davon entfernt, das Christentum albern wirken zu lassen, es im Gegenteil überzeugend macht. (Wir bleiben für heute beim Christentum.) Man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass erstens die Gottheit dieser Religion als allweise und allmächtig gilt und dass zweitens die Gläubigen dieser Weisheit und Macht verzweifelt bedürftig sind. Nur einige elementare Zitate. Es heißt Philipper 4,6: »Sorget nichts, sondern in allen Dingen lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden.« Deuteronomium 32,4 proklamiert: »Er ist ein Fels, seine Werke sind vollkommen«, und Jesaja 64,8 sagt uns: »Aber nun, Herr, du bist unser Vater, wir sind Ton, du bist der Töpfer, und wir sind alle deiner Hände Werk.« Man beachte also, dass das Christentum auf der absoluten Abhängigkeit der Herde der Gläubigen insistiert, und im Weiteren nur auf der Notwendigkeit des uneingeschränkten Rühmens und Dankens. Wer die Gebetszeit darauf verwendet, darum zu bitten, die Welt möge verbessert werden, oder wer Gott anfleht, ihm einen persönlichen Wunsch zu erfüllen, wäre tatsächlich einer tiefen Blasphemie schuldig oder zumindest eines peinlichen Missverständnisses überführt. Es geht nicht an, dass der Mensch sich einbildet, er könne Gott beraten. Und dies – muss man leider hinzufügen – führt zu dem weiteren Vorwurf der Korruption. Die Obersten der Kirche wissen sehr wohl, dass das Gebet nicht dazu da ist, die Wünsche der Gläubigen in Erfüllung gehen zu lassen. Jedesmal also, wenn sie eine Spende entgegennehmen, die sich an ein Wunschgebet knüpft, nehmen sie eine krasse Negation ihres Glaubens hin – eines Glaubens, der auf der passiven Hinnahme des göttlichen Willens beruht und nicht
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