Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Abundo als »Freitag« zur Seite (so Abundo) und berichtete später, Bobby habe jede Nacht über dem Schachbrett gegrübelt, schon in Vorbereitung des nächsten Titelkampfs. Hinterher, so um drei Uhr morgens, habe er lange Spaziergänge gemacht und sei nicht vor vier ins Bett gegangen. Filmaufnahmen aus jener Zeit zeigen Bobby auf dem Höhepunkt seines Glücks. Er trug die landestypischen weißen Barong Tagalog -Hemden, oft mit Blütenkette; er sah fit und gut aus und lächelte unentwegt. Die Filipinos liebten ihn, Präsident Marcos empfing ihn im Palast und auf seiner Yacht, seine Frau Imelda aß mit ihm zu Mittag, und junge Frauen umschwirrten ihn wie einen Filmstar. Bei einem Zwischenstopp in Bangkok hatte Bobby einige Kassetten mit thailändischer Musik gekauft, die er nachts immer und immer wieder hörte, während er über Schachproblemen grübelte. Als er mit dem Schiff in die Vereinigten Staaten zurückfuhr, liebte er die Philippinen noch mehr als zuvor.
Paul Marshall, Bobbys Anwalt in den Verhandlungen um den Weltmeisterschaftskampf in Reykjavik, sagte einmal: Als Bobby von Island zurückgekommen sei, habe er Angebote über mehr als zehn Millionen Dollar vorliegen gehabt. Doch er habe alle abgelehnt. Dabei interessierte sich Bobby doch unleugbar für Geld. Warum verhielt er sich so merkwürdig? Darüber wurden die verschiedensten Vermutungen angestellt. Ein Freund kreidete es Bobbys Unersättlichkeit an: »Wenn ihm jemand eine Million anbietet, glaubt Bobby, da wäre eine Menge mehr zu holen, und will alles.« Der Großmeister Larry Evans bevorzugte eine neutralere Erklärung: »Ich glaube, er findet es unter seiner Würde, seinen Namen für irgendetwas herzugeben.« George Koltanowski, ein Internationaler Meister, vermutete, Bobby habe derart gefürchtet, übers Ohr gehauen zu werden, dass er sich auf gar nichts einließ. »Das darf man Verfolgungswahn nennen.« Bobby brachte diese Einstellung selbst am besten auf den Punkt: »Leute versuchen mich auszunutzen. Doch an mir wird keiner einen Groschen verdienen!« Leider verdiente er umgekehrt aber auch keinen Groschen an ihnen.
Das ganze geschäftliche Hin und Her – Angebote, Vorbesprechungen, Verhandlungen, Zusagen, gefolgt von Absagen – ist Bobby anzukreiden. Die Weltweite Kirche Gottes hätte ihn gerne wieder mehr im Rampenlicht gesehen, aber offenbar reichte ihr Einfluss auf Bobby dafür nicht aus. Auch die Versuche der Sekte, Bobby mit jungen, attraktiven Frauen aus der Kirche zu verkuppeln, scheiterten allesamt: Da die Sekte vor der Ehe keine Intimitäten gestattete, verlor Bobby schnell das Interesse. Nach Verabredungen mit acht »Kandidatinnen«, bei denen es jedes Mal gleich keusch zuging, gab Bobby es auf, in der Kirchengemeinde nach möglichen Partnerinnen zu suchen.
Sein Verhältnis zu der Sekte war immer ein wenig zwiespältig. Bobby war nie von Armstrong oder einem seiner Priester durch vollständiges Eintauchen in Wasser getauft worden, er wurde also nie vollwertiges Mitglied. Entsprechend bezeichnete man ihn in der Sekte gelegentlich als »Mit-Arbeiter« oder, weniger höflich, als »Zaungast«. Zahlreiche Regeln der Sekte erschienen Bobby sogar lächerlich, weshalb er sich weigerte, sie zu befolgen. Verboten war: Hardrock oder Soul anzuhören; Filme anzusehen, die für Kinder unter zehn Jahren verboten waren; Freundschaften und Verabredungen mit Nicht-Gemeindemitgliedern; vorehelicher Sex.
Doch obwohl Bobby sich weigerte, allen Vorgaben seiner Sekte zu folgen, kreiste sein Leben doch um sie. Er besuchte einen anspruchsvollen Bibelkurs, obwohl der eigentlich ausschließlich für Gemeindemitglieder war (für Bobby machte die Kirche eine Ausnahme), er besprach persönliche und finanzielle Angelegenheiten mit Rader und Armstrong, er setzte sich ausgiebig mit den Lehren der Kirche auseinander und betete täglich mindestens eine Stunde. Einmal fuhr Bobby mit seinem Freund Bernard Zuckerman durch Manhattan. Das Gespräch kam auf Satan, und Zuckerman reagierte flapsig: »Satan? Warum stellst du ihn mir nicht vor?« Bobby war schockiert. »Was? Glaubst du nicht an Satan?«
Als Großspender der Kirche genoss Bobby Privilegien, die sonst nur hochrangigen Mitgliedern zustanden. Gelegentlich durfte er einen Privatjet oder eine Limousine mit Chauffeur benutzen, er erhielt Einladungen zu exklusiven Partys, Konzerten und Dinners und wurde einer endlosen Parade von klugen, schönen – und leider keuschen – Frauen vorgestellt. Er bekam auch
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