Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
aus Film- und Fernsehrechten weggefallen sei.
Als Bobby genug von der Party hatte, verzog er sich mit einem Freund, dem argentinischen Schachspieler Miguel Quinteros, durch die Hintertür. Die beiden stürzten sich ins isländische Nachtleben, wo sie hübsche Einheimische aufzugabeln hofften. Beim Aufbruch vergaß Bobby jedoch das isländische Buch, das ihm zur Erinnerung überreicht worden war. Es tauchte nie wieder auf.
Kurz bevor Spasski abreiste, schickte Bobby dem Russen einen freundlichen Brief und eine in Geschenkpapier gepackte Kamera, als Zeichen der Freundschaft. Auch Spasski schien keinen Groll gegen ihn zu hegen, obwohl er natürlich wusste, dass man ihm daheim in Moskau wegen des Verlusts des Weltmeistertitels die Hölle heißmachen würde. Sein letzter Kommentar zu Bobby lautete: »Fischer ist ein Mann der Kunst, ein außergewöhnlicher Mann dieses Jahrhunderts. Ich mag Fischer und glaube ihn zu verstehen.«
Nach Bobbys Landung in New York wartete die Limousine von Bürgermeister Lindsay schon. Fischers Entourage bestand aus seinem Leibwächter Saemi Palsson, dessen Frau und Quinteros. »Es ist toll, wieder in Amerika zu sein«, verriet Bobby den wartenden Reportern – sonst nichts. Der Bürgermeister hatte Bobby eine Konfettiparade den Broadway hinunter angeboten. Fürwahr eine seltene Ehre, die zuvor Helden wie Charles Lindbergh, Franklin D. Roosevelt und den Apollo-Astronauten zuteil geworden war. Doch Bobby konnte sich für den Vorschlag nicht begeistern. Freunde und Berater mahnten ihn, er sei der bisher und wahrscheinlich für alle Zeiten einzige Schachspieler, der je eine Konfettiparade durch den »Canyon der Helden« bekam. Aber Bobby blieb wie gewohnt stur. »Nein, ich will das nicht«, bekräftigte er. Einer »kleinen« Zeremonie auf den Stufen zum Rathaus stimmte er jedoch zu.
Er bekam Hunderte Glückwunschbriefe und -telegramme. Am stolzesten machte ihn folgender:
Lieber Bobby,
Ihr überzeugender Sieg in Reykjavik legt beredt Zeugnis darüber ab, wie perfekt Sie das schwierigste Spiel der Welt beherrschen. Die Weltmeisterschaft, die Sie errungen haben, ist ein großer persönlicher Triumph für Sie. Mit meiner herzlichen Gratulation und besten Wünschen für die Zukunft reihe ich mich freudig in die lange Reihe Ihrer Mitbürger an, die Ihnen ebenfalls alles Gute wünschen.
Mit freundlichen Grüßen
Richard Nixon
Die »kleine« Feier in New York entpuppte sich als »Bobby-Fischer-Tag«. Über 1000 Gratulanten waren an den Rathausstufen zusammengekommen. Bürgermeister Lindsay überreichte Bobby eine Goldmedaille (und nicht den goldenen Schlüssel zur Stadt, wie fälschlicherweise geschrieben wurde) und erklärte ihn zum »größten aller Meister«. Viele Freunde Bobbys waren gekommen, darunter Jack und Ethel Collins, Edmar Mednis, Paul Marshall (Bobbys Anwalt) und seine Frau Betty sowie Sam Sloan. Diesmal hielt Bobby bereitwillig eine Rede. »Ich möchte ein übles Gerücht dementieren, das die Runde macht. Ich glaube, Moskau hat es gestreut. Es stimmt nicht, dass Henry Kissinger mich am Abend angerufen und mir die besten Züge verraten hat.« Das Publikum grölte. Er fuhr fort: »Ich hätte nie geglaubt, den Tag zu erleben, an dem Schach bei uns die Titelseiten beherrscht – und in der Prawda nur einen Absatz bekommt.« An jenem Tag war Bobby nicht griesgrämig wie sonst, sondern liebenswürdig, witzig und bereit, zahllose Autogramme zu geben. In einem Mammut-Kommentar fasste die New York Times zusammen, was ihm gelungen war:
Fischer hat mehr erreicht, als nur den Weltmeistertitel zu erringen, den er schon so lange verdient zu haben glaubte. Er hat Image und Status des Schachspiels in den Köpfen von Millionen Menschen verändert. Über Nacht hat sich die Zuschauerzahl im Schachsport vervielfacht, ebenso die Zahl aktiver Spieler … In einem weiteren Zusammenhang hat der Weltmeisterschaftskampf Spasski–Fischer einzigartige politische Bedeutung … Er schuf eine Atmosphäre, in der, allen Anspannungen zum Trotz, die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen eine breitere Basis bekamen.
Fischer, der Held des Kalten Krieges, reiste nach New Jersey und quartierte sich vorübergehend bei seinem Anwalt Paul Marshall ein. Die Medien belagerten ihn eine Zeit lang derartig, dass Marshall vorübergehend einen Leibwächter vor seinem prächtigen Haus postieren musste, um die Horden in Schach zu halten.
11. Kapitel Die Jahre der Wildnis
L ange hatte Bobby Fischer sein Ziel, die
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