Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
dauert länger, aber auch der Zuseher geht zugrunde, Stück für Stück, aufgefressen vom eigenen Gewissen. Je größer der Verstand und das Talent eines Menschen, desto größer die Verheerung. Eine dumme, grobe Person leidet vielleicht nicht weiter, sie erkennt vielleicht nicht, wie unwürdig sie sich verhält. Wenn du glaubst, ich denke mir das aus, lies Hawthornes Der scharlachrote Buchstabe … Enttäusche nicht die Millionen Menschen, die dich als Genie betrachten und als leuchtendes Beispiel. Du hast es nicht leicht. Aber selbst wenn du völlig unbekannt wärst: Heutzutage ist es echt anstrengend, ein anständiger Mensch zu bleiben. Es ist einfacher, die Augen zu verschließen. Das haben die Leute in Nazideutschland gemacht, während Menschen gefoltert und ermordet wurden und Kinder vergast wurden wie Ungeziefer. Es war bequemer für die Leute, das Thema totzuschweigen, denn sonst hätte sich ihr Gewissen geregt.
Sei mir nicht böse wegen dem Brief. Vergiss nicht, was du auch tust, was immer passiert, ich bleibe deine Mutter. Es gibt nichts, das ich dir abschlagen würde, wenn du es bräuchtest, und daran wird sich nie etwas ändern.
In Liebe
Mutter
Es wurde gemunkelt, Bobby habe sich mit seiner Mutter überworfen. Doch das stimmte nicht. Fischer verprellte zwar Freunde, wie etwa Jack und Ethel Collins, die ihm wie Großeltern gewesen waren, aber seiner Mutter blieb er verbunden, das kann man an ihrer Korrespondenz ablesen. Die zwei waren zwar unterschiedlicher Meinung, aber das sollte nicht zwischen ihnen stehen.
In jener Phase bestand Bobbys Leben allerdings nicht nur aus theologischen, politischen und philosophischen Gedankenspielen. Es gab auch juristische Kämpfe auszufechten.
Der alte Spruch »Reden ist billig – bis du einen Anwalt anheuerst« galt für Bobby indes nicht, da sogar zwei renommierte Anwälte gratis für ihn arbeiteten. Auch wenn er über die Weltweite Kirche Gottes schimpfte, nutzte er ihre Ressourcen doch gerne weiter. Und so verwendete er Stanley Rader als seinen »örtlichen« Anwalt in Kalifornien, während Paul Marshall sich in New York um alles kümmerte, was noch mit dem Weltmeisterschaftskampf von 1972 zu tun hatte.
1973 erschien ein 64-seitiges Büchlein, Weltmeisterschaft 1972, Boris Spasski gegen Bobby Fischer. Offizielles Gedenkprogramm des isländischen Schachbunds , mit einem Abriss der Partien, Kommentaren von Gligorić und Geschichten um den Weltmeisterschaftskampf. Bobby kam darin nicht gut weg. Rader und Marshall erwogen beide eine Klage, da Bobby das Buch nicht autorisiert hatte, sein Name im Titel aber implizierte, dass er mitgewirkt habe. Außerdem wurden weder er noch Spasski an den Einnahmen beteiligt. Mit einer einstweiligen Verfügung erwirkte Marshall immerhin einen Verkaufsstopp des Büchleins in den USA. Wie viele Exemplare bis zu jenem Zeitpunkt schon über den Ladentisch gegangen waren, bleibt allerdings unklar.
Als Nächstes kündigte ein Verlag für 1974 ein Buch mit dem Titel Bobby Fischer gegen den Rest der Welt an. Der Autor: Brad Darrach, der Journalist, der für Life vom Titelkampf berichtet und exklusiven Zugang zu Bobby bekommen hatte. Marshall prüfte, ob man die Veröffentlichung stoppen könne, denn Bobby zufolge hatte Darrach sein Versprechen gebrochen, nur Artikel über Bobby zu schreiben, aber kein Buch.
Marshall sah jedoch kaum Chancen, die Veröffentlichung des Buches gerichtlich zu untersagen. Erst nach Erscheinen habe eine Klage Erfolgsaussichten, insbesondere wenn Darrach sich darin der Verleumdung oder einer Verletzung der Privatsphäre schuldig machen sollte. Gegen Marshalls Rat zog Bobby dennoch gleich vor Gericht – und verlor. Der Richter schmetterte die Klage ab, weil es keinerlei Belege für die von Bobby erhobenen Vorwürfe gab.
Das dritte juristische Problem bestand darin, dass Bobby von Chester Fox verklagt wurde, weil er die Aufnahmen beim Wettkampf in Island verhindert hatte. Mehrfach war Bobby aufgefordert worden, sich zu der Sache zu äußern, doch er stellte sich tot. So zog sich der Fall hin.
Während er auf eine Klärung dieser Streitigkeiten wartete, begann Bobby schließlich mit der Vorbereitung auf die geplante Titelverteidigung im folgenden Jahr.
Sein Gegner würde Anatoli Karpow sein, ein bleicher, klein gewachsener, schmächtiger 23-jähriger Wirtschaftsstudent aus der russischen Provinz. Wie sollte er es mit Bobby Fischer aufnehmen, dem 32-jährigen Ex-Wunderkind aus Brooklyn, dem amtierenden
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