Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Schachkrone zu erringen, derart besessen und in fast mönchischer Abgeschiedenheit verfolgt, dass ihm kaum Zeit für Frauen geblieben war. (Allerdings lebte er auch nicht völlig keusch.) Als er 1973 nach Los Angeles zurück zog, hatte er also einiges nachzuholen. Er erklärte: »Ich will Frauen treffen. Lebenslustige Frauen mit großen Brüsten.« Er war 29 Jahre alt und hatte zwar ein paar kurze Affären gehabt, aber nie echte Liebe erlebt. Jetzt wollte er sein Leben neu anfangen, mit der Siegprämie aus Reykjavik und in einer neuen Wohnung, die ihm die Weltweite Kirche Gottes für günstige 200 Dollar monatlich zur Verfügung stellte. Er beschloss, mal was anderes zu lesen als Schachmagazine, viel Geld zu verdienen, seine Bibelstudien fortzusetzen und vielleicht eine Frau zu treffen, in die er sich verlieben konnte. Aus alldem spricht ein dringendes Bedürfnis, den Gefühlen und dem Glauben wieder mehr Platz in seinem Leben zu verschaffen.
Allerdings verwandelte sich Bobby nicht über Nacht in einen umgänglichen Sonnenschein. Sein gespanntes Verhältnis zur Presse sorgte immer wieder für Probleme, er hatte sich mit ein paar amerikanischen Schachfunktionären überworfen (mit Edmondson, dem leitenden Direktor des Schachbunds, redete er nicht mehr), und schon in naher Zukunft würden die Sowjets, wie er fürchtete, vor nichts zurückschrecken, um die erlittene Scharte auszuwetzen.
Nach Reykjavik gönnte sich Bobby etwa ein Jahr lang Urlaub. Danach versuchte er, seinen Ruhm in Geld umzumünzen, natürlich immer zu seinen Bedingungen. Zusammen mit Stanley Rader, dem Hauptanwalt der Weltweiten Kirche Gottes, rief er im August 1973 zu einer Pressekonferenz. Rader war Armstrongs engster Berater und verdiente sich mit der Sekte eine goldene Nase. Bobby war von Raders Reichtum schwer beeindruckt: Ferrari, Limousine mit Chauffeur, palastartiges Herrenhaus in Beverly Hills, Privatjet. Rader verwaltete die 70 Millionen Dollar Gewinn, die die Sekte jedes Jahr abwarf. Haupteinnahmequelle war der »Zehnte« der Mitglieder. Bobby selbst hatte der Kirche mehr als 60 000 Dollar aus seinem isländischen Preisgeld gespendet, insgesamt führte er fast 100 000 Dollar an sie ab.
Dutzende Journalisten und Fotografen hatten sich zur Pressekonferenz in Raders Wohnzimmer eingefunden. Unmittelbar nach Reykjavik war Bobby zwar zweimal im Fernsehen aufgetreten, doch seitdem war er fast zwölf Monate abgetaucht. Schon hatten sich Wörter wie »Eremit« in die Berichterstattung über ihn geschlichen. Nur wenige Tage nach seinem Triumph in Island hatte gar ein Artikel in der New York Times unter der Überschrift NEUER CHAMPION NOCH IMMER EIN RÄTSEL darüber spekuliert, ob Bobby je wieder spielen würde. Die Nachrichtenagentur Associated Press schlug in die gleiche Kerbe mit ihrer Meldung BOBBY FISCHER VERZICHTET AUF RUHM UND REICHTUM. ZIEHT SICH ZURÜCK. Dabei plante Bobby zu jenem Zeitpunkt keineswegs, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. Nur wollte er sich in erster Linie um persönliche Dinge kümmern, die er jahrelang vernachlässigt hatte. Seinen Titel würde er erst nach drei Jahren verteidigen müssen. Klar, die Öffentlichkeit hätte Bobby gerne wieder am Brett gesehen, doch nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft darf man sich schon mal ein Jahr Pause gönnen.
Bei der Pressekonferenz redete vornehmlich Rader, das konnte er. Bobby stand ein wenig nervös daneben. Während der Konferenz machten die Fotografen Bilder; bei jedem Blitz verzog Bobby genervt das Gesicht. Mit sonorer Stimme verkündete Rader, dass Fischer bald wieder zu den 64 Feldern und 32 Figuren zurückkehren werde … recht bald. »Wir bereiten gerade eine Reihe von Veranstaltungen für Anfang nächsten Jahres vor. Wir erwägen einen Schaukampf, bei dem Bobby gegen das gesamte niederländische Olympiateam simultan antritt. Ein Reporter warf eine Frage dazwischen: »Wie sieht’s mit einer Revanche für den Exweltmeister aus?« Rader und Bobby tauschten einen kurzen Blick, dann antwortete der Anwalt: »Das ist eine Möglichkeit.« Der Reporter hakte sofort nach: »Würde der Wettkampf unter der Autorität des Weltschachbundes stattfinden?« Rader: »Eher nicht, das wird aber noch diskutiert.« Rader erwähnte ebenfalls eine mögliche Tour durch die Sowjetunion und Südamerika.
Jetzt wandten sich die Reporter direkt an Fischer. Eine der ersten Fragen lautete: »Was haben Sie das letzte Jahr getan?« Bobby antwortete mundfaul: »Na ja, ich habe gelesen,
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