Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
auflegen. Ich kann mir das nicht leisten.« Bobby hängte auch prompt ein und verkündete, er müsse leider sofort weg. Danach haben die zwei nie wieder miteinander gesprochen.
Wieder in Los Angeles, schrieb Bobby seiner Mutter und fragte, wann sie ihn denn besuchen komme, hoffentlich »bald«. Er riet ihr, mit dem Schiff aus England zu kommen, statt zu fliegen, er habe die Schiffspassagen in der Vergangenheit als »ganz besondere Erfahrung« geschätzt. Er beschloss den Brief mit folgenden Anweisungen: Schick deine Antwort an mein Postfach. Schreib meinen Namen nicht auf den Umschlag. Das ist nicht nötig.«
Mit Unbekannten wollte er überhaupt keinen Kontakt, und er wies Jack Collins entschieden an, ihm keinerlei Post weiterzuleiten. Vielleicht fürchtete er sich vor Gift oder Sprengstoff in der Post.
Einige Schachkollegen Bobbys, darunter auch der Großmeister David Byrne, erklärten, Bobby habe sich aus Angst vor dem KGB so geheimniskrämerisch verhalten. Bobby glaubte, die Sowjets seien noch immer so wütend über die Schmach von Reykjavik, dass sie ihn tot sehen wollten. Viele taten Bobbys Ängste als paranoid ab. Doch obwohl höchst unwahrscheinlich war, dass der KGB ihm ans Leben wollte, können Leute mit Verfolgungswahn doch tatsächlich Feinde haben. Im Restaurant hatte Bobby immer eine ganze Apotheke an Mittelchen und Tinkturen dabei, um jedes Gift zu bekämpfen, das ihm die Sowjets eventuell ins Essen schmuggelten. Hans Ree, ein niederländischer Großmeister und hervorragender Journalist, fasste die Lage so zusammen: »Es lässt sich nicht abstreiten, dass Fischer echte Feinde hatte, und zwar extrem mächtige.« Er verwies darauf, dass Michail Suslow, einer der einflussreichsten Politiker der UdSSR, sich an Überlegungen beteiligt hatte, wie man Bobby schwächen (nicht ermorden) könnte, indem man »für R. Fischer ungünstige Umstände« schuf. Ree kommt zum Fazit: »Nichts in den [KGB-]Akten weist darauf hin, dass es je Pläne gegeben hätte, ihn zu ermorden. Was aber nicht bedeutet, dass es solche Pläne nicht gegeben hat.« Der springende Punkt: Bobby war überzeugt davon, in Gefahr zu schweben, und verhielt sich entsprechend.
Vielleicht wurde Bobbys natürlicher Wunsch nach Zurückgezogenheit auch durch seinen Lesestoff weiter verstärkt. Nietzsche sagt, die Einsamkeit mache uns härter gegen uns und sehnsüchtiger gegen die Menschen. In beidem, so Nietzsche, verbessere sie den Charakter. Möglich, dass Bobby, der in gewissem Ausmaß von Nietzsche beeinflusst war, diesen Rat mit aller Konsequenz verfolgte. Mit seiner Weigerung, Fanpost zu lesen, den Kontakt mit alten Freunden aufrechtzuerhalten oder Einladungen zu Veranstaltungen anzunehmen, hielt er sich bewusst im Abseits.
Bobby betrachtete alles, das ihn nicht unmittelbar interessierte, als unerheblich. Er war der festen Überzeugung, auf dem Pfad der Rechtschaffenheit zu wandeln, und verlangte von der Welt, auf sein Zartgefühl Rücksicht zu nehmen. Trivialitäten, die in seinen Briefkasten schneiten, durften ihn nicht ablenken.
Da Jack Collins bekanntermaßen Bobbys Mentor gewesen und leicht telefonisch erreichbar war – sein Name stand im Telefonbuch –, gingen bei ihm täglich Anrufe von Leuten ein, die Bobby aus den verschiedensten Gründen sprechen wollten. Unglücklicherweise – für die Anrufer, aber auch für Bobby – leitete Collins auf ausdrückliche Anweisung Bobbys hin keinerlei Nachricht mehr weiter. Alle Vorschläge, alle Kontaktwünsche liefen ins Leere.
Bobby war meistens deprimiert, schaffte es aber jeden Tag, aufzustehen und das Haus zu verlassen. Er nahm seine Umgebung wahr und war körperlich in akzeptabler Verfassung. Längst bereute er, 1975 die Chance auf ein Millionen-Preisgeld ausgelassen zu haben. Würde er je wieder ernsthaft Geld verdienen können? Die Notwendigkeit, ständig zu knausern, ermüdete ihn. Außerdem nagte seine Unfähigkeit an ihm, Liebe zu finden und seine religiösen Zweifel zu besiegen. All das machte ihn so traurig, dass er keine Menschen mehr um sich haben wollte – außer er fühlte sich bei ihnen völlig geborgen. Und so wanderte er jeden Tag stundenlang, allein, in Tagträumen versunken.
Ein Sportjournalist schrieb einmal, Fischer sei der schnellste Geher, den er je gesehen habe – von Olympioniken einmal abgesehen. Bobby machte große Schritte und zog eine leichte Wirbelschleppe hinter sich her. Sein linker Arm schwang gleichzeitig mit seinem linken Bein vor, sein rechter
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