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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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überhaupt nicht an. An abgelegenere Orte in Los Angeles ließ er sich von Claudia fahren, ansonsten nahm er immer den Bus. Er entwickelte eine feste Routine: Er stand um vier Uhr nachmittags auf, verließ das Haus und fuhr ins Zentrum von Pasadena oder Los Angeles. Dort frühstückte er. Danach durchstöberte er Buchläden, stundenlang. Er liebte die indische und chinesische Küche und aß Riesenmengen Salat.
    Am frühen Abend, wenn die tägliche Buchjagd beendet war, kehrte er nach South Pasadena zurück, trainierte im Fitnessstudio, schwamm 45 Minuten und ging dann in die Sauna. Bei Sonnenuntergang war er wieder in der Mockingbird Lane, wo er sich in seiner Welt aus Büchern und Schachfiguren vergrub. Friede. Abends ging er nur selten aus; eigentlich nur, wenn er Besuch hatte. Ansonsten genoss er die Ruhe und Sicherheit seines Zuhauses.
    In der Wohnung türmten sich Bücher, Zeitschriften und Kleidungsstücke. Es roch nach frischen Orangen: Bobby kaufte kiloweise Obst und Gemüse. Jeden Tag trank er einen halben bis ganzen Liter Karottensaft. Überall, auf Tischen und Brettern, standen Dutzende Fläschchen mit Vitaminpillen, indianischen Heilkräutern, mexikanischen Klapperschlangen-Pillen, Tinkturen und exotischen Tees herum. All das glaubte Bobby für eine gesunde Ernährung zu brauchen und als Heilmittel gegen einige Zipperlein, die ihn gelegentlich plagten. Oft nahm er sogar seine handbetriebene Saftpresse in ein Restaurant mit, wo er Frühstück und ein leeres Glas bestellte. Dann holte er ein halbes Dutzend Orangen heraus, schnitt sie auf und presste sie an seinem Tisch aus. Kellner und Gäste beobachteten ihn verwundert bis amüsiert.
    Bobby hatte Hunderte Schachzeitschriften in fünf oder sechs Sprachen gesammelt, dazu die verschiedensten Schachbücher. Das meiste davon schickte ihm seine Mutter. Sie lebte jetzt in der DDR, in Jena, hinter dem Eisernen Vorhang, und studierte weiter Medizin. So konnte Regina die aktuellste sowjetische Schachliteratur billig kaufen und schickte ihm oft Pakete, entweder aus eigenem Antrieb oder auf Bestellung. Einmal musste Bobby sie sogar bitten, keine Schachbücher mehr zu schicken, weil ihm der Platz ausging.
    Bis spät in die Nacht analysierte er aktuelle Partien, gespielt auf Turnieren etwa in England, Lettland, Jugoslawien, Bulgarien. Beim Nachvollziehen der Züge zischte und brüllte er; so laut, dass man sein »Ja!«, »Absurd!«, »Der Springer ist’s!« oder »Dorthin immer den Turm!« bis auf die ruhige Straße hinaus hörte. Bobbys Ausbrüche erschreckten die wenigen Passanten und führten gelegentlich zu Beschwerden der Nachbarn.
    Ende der 1970er-Jahre hatte Fischer seit Island keine einzige Partie mehr öffentlich gespielt. Er beschäftigte sich zwar noch immer mit Schach, hauptsächlich aber mit Religion. Einmal wurde er auf einem Parkplatz gesichtet, als er einen Packen antisemitischer Flugblätter im Arm trug, die die Überlegenheit der arischen Rasse verkündeten. Er verteilte die Zettel an Passanten und steckte sie unter Scheibenwischer. Allmählich ging ihm allerdings das Geld aus. Die Reste des isländischen Preisgeldes schmolzen dahin, an laufenden Einnahmen kamen jährlich nur etwa 6000 Dollar Tantiemen für seine zwei Bücher, Bobby Fischer lehrt Schach und Meine 60 denkwürdigen Partien herein.
    Vermutlich aus Geldnot zog Bobby aus dem Haus der Mokarows aus und nach Los Angeles, wo er ein winziges Loch an der Orange Avenue mietete. Doch schon bald konnte er sich auch das kaum mehr leisten. So schrieb er seiner Mutter, die gerade in Nicaragua unbezahlt medizinische Hilfe für die Armen leistete, und bat sie, ihm auszuhelfen. Sofort wies Regina seine Schwester Joan an, Bobby die gesamte Summe zu schicken, die Regina jeden Monat von den amerikanischen Sozialbehörden bekam. Bis dahin hatte Joan Reginas Schecks auf ein Konto eingezahlt, damit ihre Mutter eine kleine Rücklage hatte, wenn sie nach Amerika zurückkam. Es schien Bobby nicht zu stören, dass er vom Geld seiner Mutter (bzw. des amerikanischen Staats) lebte.
    Sein Abstieg ging weiter: Bobby zog aus dem Loch in der Orange Avenue in die verkommene Gegend um den MacArthur Park. Dort mietete er sich in allerlei Absteigen ein, manchmal nur für eine Nacht oder eine Woche.
    Bald unterschied sich der ungekämmte und nachlässig gekleidete Bobby kaum mehr von den Pennern seiner neuen Umgebung. Seine zehn 400-Dollar-Anzüge waren irgendwo eingelagert; es schien ihm einfach nicht mehr wichtig,

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