Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
mit seinem rechten; eine ungewöhnliche Gangart. Brad Darrach (der Journalist, den Bobby verklagt hatte) sagte, er habe sich neben Fischer gehend gefühlt wie Dopey, einer der sieben Zwerge, neben Schneewittchen. Fischers ehemaliger Freund Walter Browne erzählte, er sei mal mit Bobby – sehr flott – vom Schachclub Manhattan hinunter ins Greenwich Village spaziert, über fünf Kilometer weit, habe dort in einem Restaurant gegessen und sei dann wieder mit ihm nach Norden gelaufen, die East Side entlang, wieder fünf Kilometer. Während des Gehens konnte Bobby nachdenken – oder tief in Träumereien versinken –, außerdem hielt es ihn fit. Gehen gehörte für ihn neben Sporttreiben und Lesen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen.
Im Mai 1981 besuchte er einmal Harry Sneider im Fitnessraum – seine Freundschaft mit dem Trainer hatte die Trennung von der Weltweiten Kirche Gottes überlebt – und ging danach spazieren. Plötzlich bremste neben ihm ein Polizeiauto. Kurz zuvor hatte in der Gegend ein Bankraub stattgefunden, und die Täterbeschreibung passte auf Bobby. Die Polizisten fragten ihn aus: Name, Anschrift, Arbeitsplatz? Und obwohl er (seiner Darstellung nach) brav auf alles antwortete, fand der Polizist ihn weiter verdächtig. Bobby sah auch nicht direkt aus wie ein Musterbürger: Er wirkte verwahrlost und trug in einer Einkaufstasche eine Saftpresse und ein paar rassistische Bücher mit sich herum. Irgendwann ging ihm die Fragerei jedoch gewaltig auf den Geist. Wo er wohne? Bobby konnte sich nicht an seine Adresse erinnern. Vielleicht aus Nervosität, vielleicht weil er von einer Absteige zur nächsten umzog. Schließlich brachte man ihn auf die Wache und nahm ihn wegen Landstreicherei fest, obwohl er fast zehn Dollar bei sich trug. (Der Bankräuber war inzwischen gefasst worden.) Man verweigerte ihm gar den gesetzlich erlaubten Telefonanruf, behandelte ihn grob (so Bobby) und ließ ihn hungern.
Nach seiner Entlassung zwei Tage später veröffentlichte Bobby ein 14-seitiges Pamphlet mit dem Titel »I Was Tortured in the Pasadena Jailhouse!« (»Ich wurde im Gefängnis Pasadena gefoltert !«). Die Welt hat zwar schon bessere Knastliteratur gelesen, etwa von Thoreau oder Martin Luther King, dennoch beschreibt Bobby auf seltsam beklemmende Weise, was er durchlitt. Viele Leute taten Bobbys Tirade als wirres und melodramatisches Geschwätz ab. Dabei war ihm wirklich Entsetzliches widerfahren – wenn seine Darstellung denn stimmte. Obwohl er erwiesenermaßen unschuldig war, zwang man ihn, nackt durch die Gänge zu laufen. Ein Polizist drohte ihm sogar, ihn in eine Nervenheilanstalt einweisen zu lassen.
Bobby veröffentlichte seinen Bericht im Selbstverlag; den Titel zierten rote und weiße Streifen, die an Gitterstäbe erinnerten. Er unterzeichnete den Text mit »Robert D. James (bekannter unter Robert J. Fischer oder Bobby Fischer, Schachweltmeister)«. Er ließ 10 000 Exemplare drucken, für 3257 Dollar. Wie er das Geld zusammenbrachte, obwohl er doch praktisch pleite war, ist unbekannt. Er verkaufte die Heftchen für einen Dollar das Stück; Claudia Mokarow kümmerte sich um die Abwicklung von Verkauf und Versand. Gegen seine Regeln zum Schutz der Privatsphäre verstoßend, gab er sogar eine Postfachnummer an, unter der Leser »zusätzliche Exemplare« bestellen konnten. Ironischerweise verdiente er mit diesem Projekt am Ende tatsächlich Geld, nach Abzug aller Kosten für Druck, Versand und Werbung. 25 Jahre später zahlten Fans für ein originales »I Was Tortured … « mehr als 500 Dollar. Ein Sammler bat Pal Benko einmal, Bobby dazu zu bewegen, ein Exemplar zu signieren. Benko gab die Anfrage weiter, doch Bobby weigerte sich: »Ja, ich habe das geschrieben, aber im Gefängnis war es schlimm. Ich will das nur noch vergessen. Nein, ich mag nicht signieren.«
Bobbys Pamphlet aus dem Mai 1981 erlaubt einen tiefen Blick in seinen damaligen Seelenzustand. Man sieht seine berechtigte Entrüstung über die schändliche Behandlung, aber auch seine völlige Unfähigkeit, sich Autoritäten zu beugen. Die Benutzung des Pseudonyms weist darauf hin, dass er sich noch immer bedroht fühlte (selbst Regina hatte begonnen, ihre Briefe an »Robert D. James« zu adressieren). Und seine Selbstbeschreibung als »Schachweltmeister« zeigt, dass er sich noch immer als Titelträger sah. Schließlich sei er, erklärte er einem Freund, niemals besiegt worden. Den FIDE-Titel hatte er zwar zurückgegeben, doch er empfand
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