Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Swift bezeichnete Krieg einmal als »das verrückte Spiel, das die Welt so gerne spielt«. Genau das Gleiche empfand Fischer für Schach. Doch würde er den Weg zum Brett zurückfinden? Hermann Hesse beschrieb in seinem brillanten Roman Das Glasperlenspiel einmal das Dilemma dessen, der ein Spiel perfekt beherrschte: »Wer den Sinn des Spiels in sich zu Ende erlebt hätte, wäre eigentlich schon kein Spieler mehr, er stünde nicht in der Vielfalt mehr und wäre der Freude am Erfinden, Konstruieren und Kombinieren nicht mehr fähig, da er eine ganz andere Lust und Freude kennt.« Nur dass es für Bobby jenseits des Bretts eigentlich keine Lust und Freude gab.
Spasski war es, der ihm die Möglichkeit verschaffte, ans Brett zurückzukehren. 1990 kontaktierte er Bobby und teilte ihm mit, dass Bessel Kok, der sich um die FIDE-Präsidentschaft bewarb, eine Neuauflage des Wettkampfs Fischer–Spasski organisieren wolle. Das Preisgeld könnte einige Millionen betragen – allerdings weniger als die fünf Millionen Dollar, die 1975 beim Titelkampf gegen Karpow zu verteilen gewesen wären.
Kok, ein extrem wohlhabender niederländischer Geschäftsmann, war CEO von SWIFT, einer internationalen Genossenschaft der Geldinstitute, und hatte schon mehrere Schachturniere organisiert. Kok hatte (auch) noble Motive: Er wollte, dass Bobby seine Karriere fortsetzte. Und er wollte privilegierter Zeuge seiner Partien sein, wie übrigens fast alle Schachspieler.
Man vereinbarte ein Sondierungsgespräch. Kok übernahm Bobbys Spesen, die Kosten für den Flug erster Klasse nach Belgien, die Unterbringung in einem Fünfsternehotel und 2500 Dollar »Taschengeld«. Um unerkannt zu bleiben, checkte Bobby unter dem Namen Brown ein.
Spasski und seine Frau Marina kamen ebenfalls nach Brüssel. Man verbrachte vier Tage zusammen, meist in Koks Villa, es wurde aber nicht ausschließlich über den Wettkampf geredet. Einmal spielten Fischer und Kok mit den Spasskis ein Tennisdoppel, später speiste man elegant bei Kerzenlicht und unterhielt sich gebildet. Koks Frau, die Anwältin Pierette Broodhaers, sagte später, man habe »normal und freundlich« mit Bobby plaudern können, nicht nur über Schach. Ihrer Darstellung zufolge zeigte er auch keine seiner Schrullen, die ihm die Presse so nachsagte. Mit einer Ausnahme: Er redete tatsächlich zu laut. »Vielleicht ist er es so gewohnt, allein zu leben, niemanden zu haben, der ihm zuhört«, sagte sie. Spürte sie seine Einsamkeit? Bobby verbot ihr indes, ein Foto von ihm zu machen.
Eines Abends fuhren die Männer zusammen mit dem Niederländer Jan Timman, der Nummer drei der Schach-Weltrangliste, nach Brüssel und besuchten einen (in Broodhaers Worten) »heißen« Nachtclub. Timman erinnerte sich an sein erstes Treffen mit Fischer: »Seltsamerweise habe ich einmal geträumt, ich träfe Fischer in einem Nachtclub. Dabei hatte ich nie ernsthaft erwartet, ihm tatsächlich je zu begegnen. Als ich den internationalen Durchbruch schaffte, hatte er gerade zu spielen aufgehört … In meinen Augen ist Fischer der beste [Schachspieler] aller Zeiten.«
Als Preisgeld für die Neuauflage des damaligen Titelkampfs standen 2,5 Millionen Dollar im Raum. Doch obwohl Bobby dringend Geld brauchte, lehnte er das Angebot ab. Spasski hätte gerne akzeptiert, aber Fischer blieb stur. Allerdings hätte es auch nichts genutzt, wenn Bobby nachgegeben hätte: Kok hatte mittlerweile beschlossen, den Plan einer Neuauflage nicht weiter zu verfolgen. Er fand Fischers judenfeindliche Tiraden »absolut abstoßend« und wusste, dass es bei einem großen Wettkampf unweigerlich zu Ärger kommen würde. Spasski flog daraufhin nach Paris zurück, Bobby stieg in einen Zug nach Deutschland.
Da er schon einmal in Europa war – zum ersten Mal seit 20 Jahren –, wollte er ein wenig länger bleiben. Hans Gerhardt Fischer, laut Geburtsurkunde Bobbys Vater, lebte in Berlin. Er war 82 Jahre alt und krank. Journalisten spekulierten: Würde Bobby seinen nominellen Vater besuchen? Doch es ist nicht einmal klar, ob die Medienvertreter Fischer senior überhaupt fanden. Für ein Familientreffen jedenfalls fehlt jeder Beleg.
Ende der 1980er-Jahre hatte Boris Spasski auf einem Spieltag der deutschen Schachbundesliga eine junge Frau namens Petra Stadler getroffen. Er wurde ihr väterlicher Freund und glaubte, Bobby könnte Interesse daran haben, sie zu sehen. Daher gab Spasski ihr Fischers Adresse in Los Angeles und riet ihr, Bobby einen Brief und
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