Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
erkannt und gewusst haben, dass er international gesucht wurde, ließen sie sich das zumindest nicht anmerken.
In Budapest mietete Bobby sich in einem der romantischsten und elegantesten Hotels der Stadt ein, dem Gellért, direkt an der Donau. Er aß auf der Hotelterrasse zu Mittag und konnte es danach kaum erwarten, in das Thermalbad des Hauses zu springen. Er fühlte sich wie im Paradies. Selbst der Chefportier trug dazu bei, dass Bobby sich sofort heimisch fühlte: Der Mann erkannte den einsiedlerischen Champion, als er dessen Gepäck aufs Zimmer brachte, und bat ihn um eine Partie.
13. Kapitel Grenzüberschreitungen
» Du brauchst in Budapest keine Leibwächter«, versicherte ihm Benko. »Hier laufen nur russische Mafiosi mit Leibwächtern herum.« Benko warnte, die zwei serbischen Muskelprotze mit ihren dicken Hälsen und automatischen Pistolen würden nur unerwünschte Aufmerksamkeit erregen. Doch Bobby mochte sich noch nicht von ihnen trennen (zumal nicht er sie bezahlte, sondern Vasiljevic). Sie beschützten ihn nicht nur, sie machten für ihn Botengänge, chauffierten ihn herum, leisteten ihm bei Bedarf Gesellschaft und standen einfach jederzeit für ihn bereit. Aber in allererster Linie glaubte er, ihren Schutz zu benötigen. Er fürchtete, die US-Regierung könnte planen, ihn lautlos zu ermorden. Auch vor den Israelis fürchtete er sich. Nach seinen antisemitischen Tiraden hielt er es durchaus für möglich, dass der Mossad oder ein durchgeknallter Zionist versuchen könnten ihn zu ermorden. Und die Sowjets wollten ihn ja ohnehin tot sehen, wegen der Schmach von 1972 und Bobbys Vorwürfen, die Russen betrögen beim Schach. Bobby kaufte sich extra einen über 15 Kilo schweren Mantel aus Pferdeleder, um sich vor Messerattacken zu schützen. Vermutlich trug er auch eine kugelsichere Weste.
Bobby fürchtete tatsächlich um sein Leben. Handelte es sich dabei noch um berechtigte Angst oder schon um krankhaften Verfolgungswahn? Sein Umfeld glaubte mehrheitlich, er sehe die Bedrohung maßlos übertrieben. Doch Bobby reagierte auf die (von ihm als solche wahrgenommene) Bedrohung seines Lebens wie am Schachbrett: Er bereitete sich auf jede Eventualität vor, auf einen Angriff aus jeder denkbaren Richtung. Er befand sich in dauernder Angst, belästigt, beleidigt, verhaftet oder gar ermordet zu werden. Das ermüdete natürlich; vielleicht brauchte er auch deswegen zehn bis zwölf Stunden Schlaf am Tag. Er fürchtete sich vor allem Unvorhersehbaren, und diese ewige Anspannung, kombiniert mit seinen endlosen Kämpfen gegen Windmühlen, laugte ihn aus.
Kaum hatte er sich im Gellért eingerichtet, luden die Polgárs ihn ein, einen Teil des Sommers in ihrem Landhaus zu verbringen. Freudig sagte Bobby zu. Auf der Fahrt ins 50 Kilometer nördlich gelegene Nagymaros bemerkte Bobby, dass die Donau überhaupt nicht schön blau war, sondern schlammbraun.
Bei den Polgárs bezogen Bobby und seine Leibwächter eine kleine Hütte im Garten, doch den Großteil seiner Zeit verbrachte Bobby im Haupthaus. Dort aß er und spielte mit allen Schwestern Schach, allerdings auf seinen Wunsch hin immer Chess960 (oder »Fischer Random Chess«). Dabei handelt es sich um eine Variante, bei der die Bauern wie gewohnt aufgestellt werden, die Figuren dahinter aber in beinahe beliebiger Reihenfolge. Das Spiel beginnt also nicht aus der einen, immergleichen Ausgangsposition, sondern aus einer von 960 verschiedenen (daher der Name Chess960). Der Grund, warum Bobby diese Variante bevorzugte: Bei ihr hatten erfahrene Spieler, die jahrelang Schacheröffnungen studiert haben, keinen Startvorteil mehr; bei Chess960 spielten Fantasie und Einfallsreichtum eine größere Rolle als beim herkömmlichen Schach, Bücherwissen und Erfahrung wogen nicht mehr so viel. Die 18-jährige Zsófia schlug Bobby sage und schreibe dreimal hintereinander in dem Spiel, das er selbst erfunden hatte. Zsuzsa spielte »unzählige Partien« gegen ihn, verriet über den Ausgang aber nur, dass sie sich »okay« geschlagen habe. Sie fand Bobbys Fähigkeit, ein Spiel zu analysieren, noch immer ehrfurchtgebietend.
László Polgár war ein Mann, der sein Herz auf der Zunge trug. Als Bobby leugnete, dass es Auschwitz je gegeben hatte, und einzugestehen weigerte, dass dort über eine Million Menschen ermordet worden waren, erzählte László ihm von einigen Verwandten, die in Konzentrationslagern umgekommen waren. »Bobby«, fragte er stirnrunzelnd, »glaubst du wirklich, meine
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