Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Dadurch geriet ich in eine Zwickmühle. Einerseits wollte ich natürlich die Partie gewinnen, andererseits fürchtete ich mich davor. Ich hielt es für durchaus möglich, dass Bobby nach einer weiteren Niederlage den Kampf abbrechen und das Schach für immer aufgeben würde. Diese Sorge kostete mich in der sechsten Partie den Sieg. Bobby rettete sich durch schieren Kampfgeist. Danach kam sein Selbstbewusstsein zurück, er wagte wieder, kreativ zu spielen, und wurde viel besser.
Bobby kämpfte sich in das Match zurück und übernahm mit der neunten Partie die Führung. Danach wogte der Kampf hin und her, aber Bobby gab seine Führung nicht mehr ab. Es ging um viel: Wer als Erster zehn Siege erreichte, bekam den Großteil des Preisgelds und sicherte sich den Titel. Während gespielt wurde, hielt Bobby sich mit seinen Tiraden zurück. Doch mit weiteren Pressekonferenzen verprellte er alte Freunde und machte sich neue Feinde. Insgesamt gab Bobby neun Konferenzen, auf denen er unter anderem Folgendes sagte:
»Ich finde, ich schlage mich dafür ganz gut, dass ich die letzten 20 Jahre auf der schwarzen Liste des Weltjudentums stand.«
»Nein, ich bedaure nicht, auf den Brief gespuckt zu haben.«
»Dieser Mann [Kasparow] ist ein pathologischer Lügner, ich würde also nicht für bare Münze nehmen, was er sagt.«
»Ich verklagte ein Unternehmen namens Time Incorporated … auf mehrere Zigmillionen Dollar oder vielleicht viele hundert Millionen Dollar, wegen öffentlicher Diffamierung, Vertragsbruchs usw. Zwei Jahre zog sich der Rechtsstreit hin, übrigens vor einem Bundesgericht, er kostete mich viel Zeit und Geld. Dann sagte der Richter einfach: ›Die Klage ist unbegründet. Sie wird hiermit abgewiesen.‹ [Die Klage richtete sich übrigens nicht nur gegen Time Inc., sondern auch gegen Brad Darrach, den Autor von Bobby Fischer vs. the Rest of the World. Der von Bobby unterschriebene Vertrag hatte Darrach Zugang zu Bobby verschafft, aber nur zu dem Zweck, Artikel zu verfassen, kein Buch. Der amerikanische Schachbund wurde ebenfalls verklagt, weil er das Buch bewarb.]
»Das bewies mir, dass die amerikanische Regierung und Time Incorporated sich illegalerweise gegen mich verschworen hatten, um mich um Hunderte Millionen Dollar zu betrügen. Deshalb habe ich seit 1976, nein 1977, weder Bundessteuern noch Einkommensteuer an den Staat Kalifornien abgeführt.«
Nach 25 Partien hatte Bobby neun Siege auf dem Konto, Spasski fünf. Die vier folgenden Partien endeten alle remis; in dieser Phase taten sich beide schwer, ihr Gegenüber zu besiegen. Beide Männer waren müde. In der letzten Partie jedoch machte Spasski seinen 27. Zug – die Lage war bereits hoffnungslos – und gab dann auf. Fischer hatte resolut gespielt und die Partie ungefährdet gewonnen.
Nach seiner privaten Sichtweise war Bobby jetzt wieder Weltmeister, außerdem 3,5 Millionen Dollar reicher. Damit sei Bobby das größte Comeback gelungen, seit Napoleon Bonaparte 1815 aus seinem Exil auf Elba nach Frankreich zurückkehrte, schrieb Charles Krauthammer scherzhaft in der Zeitschrift Time . Großmeister Yasser Seirawan fand, mit dieser Leistung habe sich Fischer wieder »unter den Top Ten der Welt« etabliert. Einige Monate später sagte der Großmeister Arnold Denker anlässlich Fischers 50. Geburtstags über seinen alten Freund und Rivalen: »Zugegeben, der Wettkampf gegen Spasski war nicht so grandios, aber musste man das nach so langer Pause nicht erwarten? Und doch gewann Bobby überzeugend. Ein Duell zwischen ihm und dem aktuellen Weltmeister [Kasparow] würde nie gekanntes Interesse erregen und weltweit Schlagzeilen bringen.«
Bobby erklärte, er brauche noch ein paar Trainingswettkämpfe gegen jüngere Spieler, um in Form zu kommen, doch 1994 würde er gern gegen Kasparow antreten. Allerdings musste er zuvor noch einen anderen Kampf ausfechten, gegen einen gewaltigen Gegner: die US-Regierung. Die war nach Bobbys Ausfällen stinksauer und wollte ihn wegen Missachtung des Embargos zur Rechenschaft ziehen. Außerdem standen 15 Jahre Steuern aus, wie Bobby selbst eingeräumt hatte, sowie Einkommensteuer auf die soeben gewonnenen Millionen.
Bei dem Abschlussbankett nötigte man Bobby auf den Tanzboden, wo er mit jungen Einheimischen ein paar Runden drehte. Danach richtete er auf Serbokroatisch ein paar Dankesworte an seinen Gastgeber und das jugoslawische Volk.
Nachdem Bobby sein Preisgeld kassiert hatte, traf er sich mit seiner Schwester Joan im
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