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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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Familie hat sich in Luft aufgelöst?« Auf so handfeste Tatsachen konnte Bobby kaum etwas erwidern. Etwas dümmlich zitierte er aus ein paar rechtsradikalen Schriften, die den Holocaust abstritten.
    Aber das war typisch für Bobby: Selbst als Gast in einem jüdischen Haushalt hielt er mit seinen antisemitischen Ansichten nicht hinterm Berg. Zsuzsa erinnerte sich: »Anfangs widersprach ich ihm noch, aber man konnte überhaupt nicht mit ihm diskutieren. Er war völlig verbohrt. Später versuchte ich, das Thema zu vermeiden.« Judit formulierte es undiplomatischer: »Er war ein extrem großartiger Spieler, aber verrückt. Ein durchgeknallter Irrer.« Ihr Vater pflichtete ihr bei: »Er war schizophren.«
    Auch wenn Bobby sich taktlos und starrsinnig verhielt, kümmerte sich die Familie Polgár trotzdem weiter um ihn, bekochte und unterhielt ihn. Und irgendwann hörte Bobby mit seinen antisemitischen Tiraden auf und wandte sich wieder dem Schach zu. Doch als László ihm ein Buch von 1910 zeigte, ging er an die Decke. Darin beschrieb der Kroate Izidor Gross bereits eine Schachvariante mit exakt den gleichen Regeln wie »Fischer Random Chess«. Bobby murmelte etwas von »Gross« und »Jude« und änderte dann die Regeln seiner Variante, nur um sich von Gross abzugrenzen.
    In jenem Sommer machte die Familie einmal einen Ausflug ins Heilbad Visegrád am anderen Ufer der Donau. Man lud Bobby und seine Leibwächter ein mitzukommen. Die Gruppe nahm die Fähre über den Fluss, und im Heilbad fühlte sich Bobby ganz in seinem Element: Er schwamm und räkelte sich in den Heißwasserbecken. Er nahm sogar die riesige Wasserrutsche, immer und immer wieder. »Er tollte herum wie ein kleines Kind«, erinnerte Zsuzsa sich wehmütig.
    László passte genau auf, dass Bobby sich den drei Schwestern gegenüber schicklich benahm. Er hatte nämlich längst mitbekommen, dass Bobby seinen Töchtern, besonders, Zsuzsa, schöne Augen machte, und missbilligte das entschieden.
    Nach dreieinhalb Wochen erfuhr das ungarische Fernsehen irgendwie von Bobbys Sommerfrische in Nagymaros und schickte ein Kamerateam. Es schlich sich ans Haus an und filmte Bobby aus 50 Metern Entfernung mit einem Teleobjektiv. Als jemand das Team entdeckte, brach Panik aus. Bobby wurde noch immer polizeilich gesucht und wollte natürlich nicht, dass die Welt von seinem Versteck erfuhr. Er hetzte seine Leibwächter auf die Reporter, und die rissen die Kassetten aus den Kameras. Die Kameraleute leisteten keinen Widerstand – mit den zwei Kolossen wollte sich keiner anlegen. Dann lieh sich Bobby einen Hammer von Polgár, setzte sich auf den Steinboden des Wohnzimmers und zertrümmerte die Kassetten feierlich und gründlich.
    Aber natürlich musste Bobby trotzdem sofort abreisen. In Budapest packte er seine Koffer und verließ überstürzt das Gellért. Mit den Leibwächtern im Schlepptau, die jetzt als Kofferträger herhalten mussten, zog er ins Hotel Rege am Fuß der Budaer Berge. Das Hotel lag 15 Busminuten vom Stadtzentrum entfernt, Benko wohnte direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite. Jetzt endlich folgte Bobby dem Rat seines Freundes und entließ die Leibwächter. Sie waren einfach zu auffällig und deshalb potenziell gefährlich.

    In jener Zeit veränderte Budapest sich rasant. 1989 hatten die Ungarn das Joch der Sowjets abgeschüttelt und die Grenze zu Österreich geöffnet. Zahlreiche Unternehmen waren privatisiert worden, die Wirtschaft brummte. Die Menschen fühlten sich endlich wieder frei, es herrschte eine fast mit Händen greifbare Aufbruchstimmung. In der Váci Utca, der wichtigsten Einkaufsmeile der Stadt, bogen sich die Regale, die Menschen lächelten und amüsierten sich bis spät in die Nacht.
    Nachdem Bobby sich vergewissert hatte, dass ihn niemand mehr verfolgte, begann er, ziellos durch die Stadt zu streifen. Er nahm wahllos Trambahnen und Busse und fuhr herum. Zwar erkannten ihn bestimmt viele Ungarn, doch kaum einer sprach ihn je an. Bobby fühlte sich in der Stadt allerdings immer fremd. Selbst nach Jahren nannte er sich noch »einen Touristen« in Budapest.
    Als die Polgárs im Herbst nach Budapest zurückkehrten, kam Bobby wieder zu Besuch und spielte mit ihnen Tischtennis oder Schach. Auch beim 82-jährigen Andrei Lilienthal und dessen 30 Jahre jüngerer Frau Olga war er gern zu Gast.
    Die Lilienthals waren hervorragende Gastgeber, und sie verehrten Bobby, der wiederum größten Respekt für Lilienthal hatte. Der Großmeister, der einmal

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