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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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sogar den Exweltmeister Michail Botwinnik besiegt hatte, wusste zahllose Geschichten zu erzählen. Ihm zuzuhören war, als schmökere man in einem Buch über Schachgeschichte.
    Obwohl Olga kaum älter war als Bobby, behandelte sie ihn mütterlich. Beispielsweise kochte sie ihm seine Leibgerichte. Mit ihr sprach Bobby Russisch; später erzählte sie, er habe die Sprache »recht gut« beherrscht. In all den Jahren, die Bobby in Budapest lebte, lernte er fast jeden Tag Russisch, und Olga half ihm, Grammatik und Aussprache zu verbessern. In Bobbys Bücherregalen standen mehrere Russisch-Englische Wörterbücher, außerdem Grammatik- und Konversationsbücher. Mit Lilienthal unterhielt Bobby sich auf Deutsch.
    Einmal, als Bobby wieder einmal über Juden herzog, unterbrach Lilienthal ihn: »Bobby, weißt du, dass ich Jude bin?« Bobby lächelte und antwortete: »Du bist ein guter Mann, ein guter Mensch, also bist du kein Jude.« Für Bobby war »schlecht« und »jüdisch« gleichbedeutend; ein schlechter Mensch war für ihn ein »Jude«, egal welchem Glauben er zufällig angehörte. Ein »guter« Mensch wie Lilienthal hingegen war in seinen Augen kein Jude. »Natürlich verallgemeinere ich; dieses Recht nehme ich mir heraus«, schrieb Bobby über seine Neigung zur Stereotypisierung.
    Wenn Bobby bei den Lilienthals zu Abend aß, sah er danach mit ihnen fern, und zwar russische Programme. Die waren ihm lieber als das ungarische Fernsehen und die empfangbaren amerikanischen Programme. Die russischen Sendungen halfen ihm auch, seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Später zogen Bobby und Lilienthal sich ins Arbeitszimmer zurück und analysierten bis spät in die Nacht Partien. Doch sie spielten nie miteinander.
    Bobby revanchierte sich für die Freundlichkeit der Lilienthals mit Geschenken: einer Satellitenschüssel, einem Staubsauger, Lederwaren, die er auf Reisen nach Wien kaufte, und Geburtstagspräsenten. Im Ehepaar Lilienthal hatte er wieder Ersatzeltern gefunden wie früher in Jack und Ethel Collins. Bei ihnen fand er Wärme, bedingungslose Unterstützung – und Leidenschaft fürs Schach.
    Doch ebenso wie die Beziehung zu den Geschwistern Collins ging auch diese Freundschaft nach ein paar Jahren in die Brüche. Zwei Vorfälle führten zum Bruch: Erstens hatte Andrei Lilienthal bei einer Silvesterparty ein Foto von Bobby geschossen und an die russische Schachzeitschrift Schachmatnij Bulletin geschickt. Die veröffentlichte das Bild und schickte Lilienthal 200 Dollar Honorar. Bobby ärgerte sich, als er das Heft sah, und wurde richtig wütend, als er erfuhr, dass Lilienthal Geld für das Foto bekommen hatte.
    Weil Bobby ständig von dem ausstehenden Honorar für die russischsprachige Ausgabe von Meine 60 denkwürdigen Partien redete, wandte Lilienthal sich in dieser Angelegenheit brieflich an den FIDE-Präsidenten Kirsan Iljumschinow. Lilienthal unterschrieb dabei mit Bobbys Namen, ohne dass der jedoch davon wusste. Bei einer seiner Pressekonferenzen in Jugoslawien hatte Bobby gesagt, bevor Verhandlungen über die ausstehenden Tantiemen überhaupt losgehen könnten, verlange er 100 000 Dollar. Vermutlich schulde man ihm aber »Millionen«. Als das Oberhaupt der Republik Kalmückien war Iljumschinow ein außerordentlich reicher Mann. Er erklärte sich bereit, Bobby einen Teil des ausstehenden Geldes aus eigener Tasche zu bezahlen, 100 000 Dollar in bar.
    Die Übergabe sollte bei einem Abendessen im Haus der Lilienthals stattfinden. 18 Jahre zuvor hatte Bobby nach dem geplatzten Weltmeisterschaftskampf gegen Karpow seine Beziehungen zur FIDE abgebrochen. Er war dem Weltschachbund auch noch immer böse – betrachtete Iljumschinow allerdings als unschuldig, weil er damals unbeteiligt gewesen war. Iljumschinow begrüßte Bobby in ausgezeichnetem Englisch und überreichte ihm einen Koffer voll Geld. Erst nachdem Bobby den Inhalt bis zum letzten Dollar gezählt hatte, setzte man sich zu Tisch und aß in angeregter und herzlicher Atmosphäre zu Abend. Bobby stellte Iljum­schinow sein Fischer Random Chess vor und befragte ihn zur russischen Politik. Iljumschinow erinnerte sich später: »Ich war erstaunt, wie gut Bobby über unsere Innenpolitik Bescheid wusste. Er kannte unsere Politiker und Parlamentsabgeordneten beim Namen und erkundigte sich, wer meiner Meinung nach die Wahl gewinnen würde.«
    An jenem Abend schien eine Versöhnung zwischen FIDE und Bobby Fischer zum Greifen nahe. So lud Iljumschinow Bobby gar nach

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