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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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erfahrenere Spieler war er bis gestern ungeschlagen und kam dem Turniersieg bis auf 14 Ränge nahe.«
    Nach dem Tod Jacob Wenders fand man in seinen Papieren den vergilbten Times -Artikel. Wehmütig, aber auch betroffen kommentierte Bobby: »Mein Großvater hat nur wenig Interesse an [mir] gezeigt. Und von Schach verstand er gar nichts.« Die Ironie dürfte Bobby nicht entgangen sein: Er spürte, dass der Großvater seine Schachkarriere wahrscheinlich von Anfang an mit Stolz verfolgt, es ihm aber nie gesagt hatte.

3. Kapitel Aus Zeus’ Kopf entsprungen

    I m Sommer 1955 geriet Bobby zufällig in einen Treffpunkt für Schachverrückte. Sein Schachspiel erhielt dadurch einen gewaltigen Schub. Nigro fuhr gelegentlich mit Bobby nach Manhattan, um im Central Park ein Boot zu mieten und ein, zwei Stunden auf dem stillen See herumzupaddeln. See, Boot, Mann, Kind, Seerosen – eine Szenerie wie aus einem impressionistischen Gemälde. Meistens ruderte Bobby, um seine Schultern zu kräftigen.
    Eines Samstagnachmittags fiel Bobby auf dem Heimweg an einem eleganten Gebäude direkt am Park ein Messingschild auf. Darauf stand in schlichter Gravur MANHATTAN CHESS CLUB. Der Junge blieb wie angewurzelt stehen. Er sah sich um und entdeckte ein offenes Fenster im Erdgeschoss. Bobby ging hin, spähte hinein – und erstarrte: Er stand nur wenige Zentimeter von zwei Schachspielern entfernt, die drinnen an einem Tisch saßen und hoch konzentriert Figuren über das Brett zogen. Das Fenster hatten sie geöffnet, um an diesem brüllend heißen Sommertag ein wenig frische Luft hereinzulassen. Der Club sah einladend aus. Zaghaft wandte sich Bobby an Nigro: »Können wir hineingehen?« Sein Lehrer antwortete schlicht: »Probieren wir’s halt.«
    »Wir versuchten, der Hitze zu entkommen«, erinnerte sich Bobby. »Kaum hatte ich das Schild gesehen, wollte ich hinein, und kaum war ich drin, gefiel es mir.« Im Club standen Trophäen, an den Wänden hingen Porträts legendärer Spieler wie Lasker, Morphy und Capablanca sowie Fotografien aktueller Topspieler. In den Bücherschränken drängten sich Schachwälzer. Als die beiden eintraten, wurde an ungefähr einem Dutzend Tischen gespielt. Kinder sah Bobby keine.
    Walter Shipman, einer der Direktoren des Clubs, ging auf die Besucher zu, die schüchtern im Eingangsbereich warteten. Shipman, ein 26-jähriger frischgebackener Anwalt und angehender Internationaler Meister, hieß die Gäste willkommen und wies Bobby sofort einen Gegner zu. Bobby fertigte ihn ruck, zuck ab. Der Besiegte rief einen Kollegen, der solle sich doch mal an dem Jungen versuchen. Auch der verlor. Noch hatten die Clubmitglieder nicht erkannt, dass sie einem Wunderkind gegenüberstanden. Aber ihnen war sehr wohl bewusst, dass Bobby etwas Besonderes war. Sie scharten sich um seinen Tisch und fragten ihn aus: »Wo hast du Schach spielen gelernt?«, »Wie alt bist du?«, »Wo wohnst du?«, »Wo hast du diese Eröffnung gelernt?«
    Das war Bobbys Debüt in der erlesensten Schach-Bruderschaft New Yorks. Einigen Mitgliedern fiel sofort auf, dass Bobby anders als die meisten Anfänger das Brett in seiner Gesamtheit betrachtete. (Dabei war Bobby damals gar kein Anfänger mehr, schließlich hatte er schon vier Jahre im Schachclub Brooklyn gespielt.) Nicht, dass er bei jedem Zug die beste Wahl getroffen hätte, aber er verzichtete fast vollständig auf Fallen (minderwertige Züge, die den Gegner zu einem Fehler verleiten sollen). Und auf Fallen seines Gegenübers fiel er auch kaum je herein.
    Shipman, der unter den 20 besten Spielern Amerikas rangierte, erkannte das Potenzial des Jungen sofort. Voller Begeisterung spielte er eine ganze Serie von Blitzpartien gegen ihn, mit einer Sekunde Zeit pro Zug. Bobby gewann etwa ein Drittel davon. Shipman erinnerte sich: »Sein Spiel beeindruckte mich so sehr, dass ich den Jungen dem Vorsitzenden des Clubs, Maurice Kasper, vorstellte. Kasper, ein Kleidungsfabrikant und Millionär, bot Bobby großzügig eine kostenlose Junior-Mitgliedschaft an. Bobby sagte sofort zu.« So wurde er zum jüngsten Mitglied in der Clubgeschichte. Bobby strahlte wie ein Kind, das über Nacht in einem Süßwarenladen eingesperrt wurde.
    Der Manhattan Chess Club war der zweitälteste und damals beste Schachclub des Landes. Er war 1877 gegründet worden, drei Jahre nach dem Mechanics’ Institute Chess Club of San Francisco, und viele Jahre lang gehörte praktisch jeder große amerikanische Spieler dem Club an.

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