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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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Sieg und ½ für ein Remis. Er ging zu allen vier Runden der Begegnung, nicht ahnend, dass er innerhalb nur weniger Jahre gegen 14 der hier versammelten 16 Weltklassespieler antreten würde.
    Bobby verfolgte nicht nur gebannt das Geschehen im Ballsaal, auch der Analyseraum faszinierte ihn. Dort, außer Hörweite der Teams, kommentierten und analysierten Spitzenspieler jede Partie Zug für Zug, noch während sie lief. Noch hatte Bobby nicht das Gefühl, bei der Analyse mitreden zu können. Doch es freute ihn, wenn er Züge korrekt vorhersah – oder hinterher verstand, warum ein anderer Zug gemacht worden war.
    Nach vier Spieltagen endete die Begegnung mit einer deutlichen Schlappe für die Amerikaner; sie verloren mit 12 zu 20. Das Publikum applaudierte den Siegern anerkennend, doch insgeheim fragten sich viele Zuschauer gepeinigt: »Was ist nur mit dem amerikanischen Schach los?« Ein Kommentar in Chess Life beklagte die Niederlage und versuchte sich an einer Erklärung: »Der Wettkampf zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Team hat erneut gezeigt, dass Amateure schlicht nicht mit Profis mithalten können. Egal, wie begabt ein Amateur auch sein mag, gelegentlich geht ihm die brutale Präzision ab, die den Spitzenprofi als Meister seines Fachs auszeichnet. Der Profi beherrscht das Geschehen so sicher, fast instinktiv, weil er seine Kunst ständig übt, unter wechselnden Bedingungen und gegen die verschiedensten Gegner.« Niedergeschlagen fuhren Nigro und Bobby mit der U-Bahn nach Brooklyn zurück. Eines hatte die Veranstaltung Bobby unmissverständlich gezeigt: Die Sowjets stellten die besten Spieler der Welt. Diese Erkenntnis stachelte seine Entschlossenheit nur noch mehr an.
    Das Rückspiel in Moskau entschieden die Sowjets 1955 noch deutlicher für sich, mit 25 zu 7. Die Presse berichtete breit über die Begegnung; das Bild der amerikanischen Spieler erschien auf den Titelseiten der New York Times und etlicher anderer Zeitungen in aller Welt. Der Grund für das Medienecho: Nikita Chruschtschow und Nikolai Bulganin waren überraschend auf der Gartenparty erschienen, die in Moskau für das amerikanische Schachteam ausgerichtet wurde. Chruschtschow, der Chef der KPdSU, erklärte dort: Die Sowjetunion sei gefestigt wie noch nie und bereit zu einer Entspannung des Verhältnisses zu den USA, solange Amerika zu einem »ehrlichen« Dialog bereit sei.

    In jenem Sommer, als das amerikanische Schachteam in Moskau so unter die Räder kam, schlug der zwölfjährige Bobby seine eigenen Schlachten am Brett. Er nahm an einem Turnier quasi in seinem Hinterhof teil: im Washington Square Park. Die Szenerie in Greenwich Village war ihm wohlvertraut; hier an den Freiluft-Schachtischen ging es deutlich quirliger und bunter zu als im ruhigen, fast schon meditativen Ambiente des Schachclubs Brooklyn. Im Park maß sich eine wilde Mischung aus Nachbarschafts-Bohemiens, Spielern mit Turnierstärke und Zockern, die um Geld spielten. Unter freiem Himmel wurde geflachst, gewettet und gespielt, manchmal von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. An den Schachtischen gab es keine Klassengrenzen, hier traten Wall-Street-Banker gegen Obdachlose an und Intellektuelle gegen Schulabbrecher. Der Park selbst war die amerikanische Version eines nahöstlichen Basars, mit Straßenmusikanten, Geschichtenerzählern, Bettlern, Freiluft-Rednern und gelegentlich sogar einem Schlangenbeschwörer. Die lockere Atmosphäre im Park förderte Risikofreude und Kreativität, hier konnte man frei seinen eigenen Stil entwickeln.
    In den 1950er-Jahren wurde im Park fast jeden Tag Schach gespielt, entweder spontan oder in Form organisierter Turniere. An Wintertagen trugen die Spieler dicke Mäntel, Schals, Mützen und Handschuhe, weshalb es ihnen gar nicht so leicht fiel, ihre Figuren zu bewegen. »Anfangs fand ich nie Gegner«, erinnerte Bobby sich später. »Die Spieler waren alle erwachsen, zum Großteil alte Männer. Niemand hatte Lust, seine Zeit an einen Buben zu verschwenden. Mr. Nigro führte mich in den Kreis ein. Als ich dann besser wurde, fand ich auch leichter Partner.« Bobbys Erinnerung an einen Haufen »alter Männer« ist vermutlich durch seine damalige Jugend verzerrt. Tatsächlich spielten an den Tischen Leute fast jedes Alters, nur so junge Kinder wie ihn gab es kaum.
    In jenen Tagen sah man im Park nur wenige Schachuhren, an den meisten Tischen wurde Blitzschach mit einer Bedenkzeit von nur wenigen Sekunden pro Zug gespielt. Dachte man mal ein

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