Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Bobby gewann jede einzelne Partie. Das Duell endete 6 zu 0 – nie war ein Großmeister in der Geschichte des Schachs derart abgefertigt worden.
Nach dieser vernichtenden Niederlage war Taimanows Schachkarriere praktisch zu Ende. Die Sowjetführung empfand das Ergebnis als nationale Schande und bestrafte Taimanow dafür, nicht einmal ein Remis erkämpft zu haben. Man strich sein Gehalt und verbot ihm jegliche Auslandsreisen. Taimanow hatte das schon geahnt. Nach der sechsten Partie sagte er Bobby resigniert: »Zum Glück habe ich noch meine Musik.«
Bobbys Match gegen Bent Larsen, das Halbfinale des Kandidatenturniers, begann am 6. Juli um vier Uhr nachmittags in Denver. Draußen stand erstickend die 37 Grad heiße Luft, wie schon seit Tagen. Fischer überrollte Larsen ebenso wie zuvor Taimanow, wieder gewann er 6 zu 0.
Am 20. Juli 1971 um 21 Uhr war Bobby gelungen, was im Schach noch nie jemand geschafft hatte: Er hatte zwei Wettkämpfe gegen Großmeister gewonnen, ohne auch nur einmal remis zu spielen. Seine Siegesserie gegen die stärksten Spieler dieser Welt währte nun schon 19 Partien.
Fischer-Zweifler, besonders die Sowjets, hatten ja geglaubt, das Taimanow-Desaster sei eine Ausnahme gewesen. Nun, da Fischer den jüngeren, hoch angesehenen Larsen ebenso umstandslos abgefertigt hatte, stand fest: Fischer war eine Klasse für sich. Robert Byrne hatte den Wettkampf erstaunt verfolgt und meinte hinterher, es sei ihm unerklärlich, wie Bobby, wie irgendjemand sechs Partien hintereinander gegen solch ein Genie am Brett wie Larsen gewinnen konnte.
Anfangs waren die Sowjets erleichtert, weil Taimanow nach Larsens Niederlage nicht mehr ganz so schlecht aussah. In der gesamten UdSSR unterbrachen Fernseh- und Radiosender ihr laufendes Programm, um das Ergebnis zu verkünden. Millionen von Sowjets hatten den Verlauf des Wettkampfs bereits gespannt verfolgt, fasziniert von Bobbys Spielkunst. Sowjetskij Sport verkündete: »Ein Wunder ist geschehen.«
Ein paar Tage vor seiner ersten Partie gegen Petrosjan kam Fischer in Buenos Aires an. Diesmal reiste er nicht allein. Larry Evans begleitete ihn als Sekundant, und der umtriebige Edmund B. Edmondson vom amerikanischen Schachbund trat als Bobbys Manager/Sprecher auf. Petrosjan hatte eine deutlich größere Entourage mitgebracht: seinen Manager, zwei Sekundanten, seine Frau Rona und zwei Leibwächter.
Argentinien empfing die Kontrahenten, als ginge es um ein Ereignis von globaler Bedeutung. Die beiden Spieler wurden in den Präsidentenpalast eingeladen, wo offizielle Fotografien mit dem De-Facto-Präsidenten Argentiniens, Generalleutnant Alejandro Lanusse, gemacht wurden. Beide Spieler erhielten ein prächtiges Marmor-Schachbrett mit Figuren aus Onyx. In der Mitte der riesigen Bühne des Teatro General San Martín stand einsam ein Schachtisch. Dahinter hing ein blau-goldener Kreis von etwa viereinhalb Metern Durchmesser mit dem FIDE-Emblem, seinem Motto Gens una sumus (»Wir sind eine Familie.«) und dem Schriftzug des argentinischen Schachbunds. Ein wenig seitlich des Bretts stand eine Schautafel von eineinhalb auf eineinhalb Metern, auf der ein Mann jeden Zug ausführte, den einer der beiden Spieler gemacht hatte. So konnten die 1200 gespannten Zuschauer das Spiel mitverfolgen. Wurde es im Publikum zu laut, mahnten rote Blinklichter: SILENCIO – Ruhe.
Reporter fragten Petrosjan, ob er erwartete, dass das Match über die volle Länge von 12 Partien gehen würde. Petrosjan antwortete: »Vielleicht gewinne ich ja schon früher.« Dann erklärte er selbstbewusst, warum Fischer ihn bisher nicht überzeugt hatte.
Bobbys gelassen schlichte Antwort demonstrierte wiederum sein eigenes Selbstvertrauen: »Ich bin der beste Spieler der Welt und bin gekommen, das zu beweisen. Zehn Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet. Bisher wurde ich von russischen Tricksereien behindert. Der Wettkampf wird nicht über die volle Länge gehen.«
In der ersten Partie überraschten beide Spieler das Publikum und wahrscheinlich den Gegner, indem sie auf für sie völlig untypische Weise spielten. Petrosjan setzte normalerweise auf eine geschlossene, defensive Stellung und lauerte wie eine Schlange auf einen winzigen Fehler seines Gegenübers. Bobby hingegen spielte üblicherweise gnadenlos auf Angriff. Experten erwarteten, dass Petrosjan in der ersten Partie wie gewohnt defensiv taktieren und ein Remis anstreben würde, um Bobbys Siegesserie zu beenden. Doch nein, er agierte
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