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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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verblüffend aggressiv und drängte Bobby in die dem so verhasste defensive Rolle. Petrosjan machte dabei einen neuartigen, unkonventionellen Zug, den wahrscheinlich sein Beraterstab für ihn ausgeknobelt hatte. Die Partie lief sichtbar auf ein Remis hinaus, als es plötzlich finster wurde. Im wahrsten Sinn des Wortes. Im gesamten Theater fielen die Lichter aus. Fischer erschrak: »Was ist los? Was ist los?« Man beschied den Spielern, eine Sicherung sei durchgebrannt; in wenigen Minuten gehe es weiter. Petrosjan stand vom Brett auf, Fischer und 1200 Zuschauer blieben in der Finsternis sitzen. Schließlich beschwerte Petrosjan sich, Bobby denke weiter über die Stellung nach, weshalb seine Uhr weiterlaufen müsse. Fischer erklärte sich einverstanden, und der deutsche Schiedsrichter Lothar Schmidt, selbst ein Großmeister, setzte Bobbys Uhr wieder in Bewegung. Elf Minuten lang analysierte Bobby die unsichtbare Stellung im Kopf, dann ging das Licht wieder an.
    Die Unterbrechung schien Petrosjan aus dem Konzept gebracht zu haben. Denn danach beging er einige Fehler und musste beim 40. Zug aufgeben. Bobbys 20. Sieg in Folge war perfekt. Die versammelte Armee von Reportern und Fotografen umringte die Spieler bei ihrem Abgang von der Bühne, doch beide eilten ohne einen Kommentar davon.
    In der zweiten Runde war Bobby offenkundig krank: Kopfgrippe. Wieder schienen die beiden mit getauschten Persönlichkeiten zu spielen: Petrosjan aggressiv, Bobby defensiv. Bobby merkte, dass er sich nicht gut genug konzentrieren konnte, um eine Chance zu haben. Er reichte Petrosjan deshalb die Hand und gab auf. Das Publikum spielte verrückt. Petrosjans Frau stürmte die Bühne und umarmte ihren Mann. Einige Zuschauer skandierten »Tigran un tigre! Tigran un tigre.« Der Siegesjubel pflanzte sich in die Vorräume und auf die Straße hinaus fort. Einige Kollegen liefen auf die Bühne und wollten den glücklichen Petrosjan gar auf die Schultern heben, wurden aber von Offiziellen gestoppt. Das kümmerte Petrosjan wenig. Ihm war geglückt, was die besten Spieler der Welt seit 20 Partien vergeblich versucht hatten: eine Partie gegen Bobby Fischer zu gewinnen.
    Fischer brüllte Edmondson an, er habe ihn viel zu sehr herumgereicht. In den folgenden zehn Tagen empfing Bobby nur noch den jungen argentinischen Spieler Miguel Quinteros, sonst niemanden.
    Als sieben Partien gespielt waren, fühlte Bobby sich völlig sicher, die beiden nächsten zu gewinnen und das Match damit für sich zu entscheiden. Ziemlich formell kündigte er an, er werde Spasski diesmal entthronen. Als die achte Runde endlich losging, fiel zwar wieder das Licht aus, diesmal für acht Minuten. Aber am Ergebnis änderte das nichts: Beide Seiten spielten aggressiv, doch Petrosjan unterlag. Fischers vierter Sieg in diesem Duell. Die Spekulationen, Bobby habe sein bestes Schach zu früh gezeigt, verstummten. Ganz im Gegenteil wurde es immer offensichtlicher, dass niemand ihn würde stoppen können.
    Zu Beginn der neunten Partie drängten sich über 10 000 Fans im Zuschauerraum, den Foyers und der Umgebung des Theaters. Selbst in der UdSSR hatte man einen solchen Auflauf bei Schachveranstaltungen noch nicht gesehen. Beim 46. Zug gab Petrosjan auf, und Bobby stand als neuer Herausforderer des Schachweltmeisters fest. Bobby hatte gerade gegen einen Exweltmeister, der als extrem schwierig zu besiegen galt, fünf Partien gewonnen. Zusammen mit drei Remis und einer Niederlage ergab sich ein Endstand von 6½ zu 2½.
    Mehr als drei Dekaden lang hatten die Sowjets die Weltmeistertitel unter sich ausgemacht, kein einziger Herausforderer war aus einem anderen Land gekommen. Jahrelang hatten immer nur sowjetische Großmeister gegeneinander um die Schachkrone gespielt. Für seine Bemühungen erhielt Bobby immerhin 7500 Dollar Preisgeld, außerdem 3000 Dollar Prämie vom amerikanischen Schachbund. In den USA löste Bobbys Sieg fast über Nacht ein bisher unbekanntes Phänomen aus: einen Schachboom. Der Absatz von Schachbrettern schoss um über 20 Prozent in die Höhe. Praktisch jede größere Zeitung und Zeitschrift brachte Artikel über Fischer, die meisten davon bebildert und mit einer Darstellung seiner letzten Stellung gegen Petrosjan. Die New York Daily News druckte den Verlauf aller Partien ab, die New York Times widmete Bobby Fischer die gesamte Titelseite der Sonntagsbeilage und machte am nächsten Tag mit einer Meldung auf Seite eins weiter. Das letzte Mal, dass Schach es auf die

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