Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Bobby nicht wusste: Spasski seinerseits hielt Bobby in dessen aktueller Form für den Stärkeren.
Bei dem bevorstehenden Titelkampf stand so viel auf dem Spiel, dass es fast zwangsläufig zu Meinungsverschiedenheiten kommen musste. Irgendwann brach offener Streit zwischen den drei beteiligten Schachverbänden aus: dem amerikanischen, dem sowjetischen und der FIDE. Die Sowjets ließen nichts unversucht, um sich noch kleinste Vorteile zu sichern. Seit 34 Jahren stellten sie nun den Weltmeister, und sie planten nicht im Geringsten, den Titel einem Amerikaner zu überlassen, noch dazu einem »unkultivierten«. Auch finanzielle Überlegungen spielten eine Rolle. Die sechsstellige Summe, über die gerade verhandelt wurde, würde das höchste Preisgeld sein, das je für einen Zweikampf im Sport gezahlt worden war (vom Boxen einmal abgesehen).
Als Island sich um die Ausrichtung des Duells bewarb, flog Bobby nach Reykjavik, um sich dort den geplanten Austragungsort anzusehen. Bei der Gelegenheit warb Freysteinn Thorbergsson, ein isländischer Spieler Anfang 40, gegen den Bobby bei einem Turnier in Reykjavik remis gespielt hatte, bei Bobby für Island. Doch der Vorsitzende des isländischen Schachbunds, Guðmundur Thorarinsson, ein zurückhaltender 32-jähriger Ingenieur und Shakespeare-Liebhaber, betrachtete Bobby mit skeptischen Augen. Thorarinsson hatte politische Ambitionen (er wurde schließlich Parlamentsabgeordneter), und die Weltmeisterschaft im eigenen Land wäre ihm sehr gelegen gekommen – nur auf Bobbys Launen hatte er gar keine Lust.
Während die Verhandlungen über den Veranstaltungsort und das Preisgeld noch liefen, zogen sich beide Spieler zur Vorbereitung in die Berge zurück. Spasski machte es sich im Kaukasus gemütlich, Fischer ging in die Catskills, mehr als 10 000 Kilometer weiter westlich. Die Catskill Mountains sind ein Ausläufer der Appalachen im Bundesstaat New York, und Bobby schlug vier Monate vor dem Zweikampf sein Trainingscamp in Grossinger’s auf, einem gigantischen Hotelkomplex in Ferndale. Seit über einem halben Jahrhundert war die Gegend bei der jüdischen Bevölkerung New Yorks als Ferienziel äußerst beliebt, weshalb man sie scherzhaft auch »Jüdische Alpen« nannte. Da Fischers Sekte, die Weltweite Kirche Gottes, die gleichen Ernährungsregeln und eine ähnliche Sabbatruhe vorschrieb wie der jüdische Glaube, passte Grossinger’s perfekt. Im Speisesaal wurde kein Schweinefleisch serviert, und von Freitagabend bis Samstagabend ehrten die Gläubigen den Sabbat.
In Grossinger’s war Bobby frei von den sozialen Zwängen der Großstadt. In New York war er für jedermann mit einem Zehn-Cent-Telefonanruf erreichbar. In der Stadt kamen immer wieder Leute auf einen Sprung vorbei und störten ihn in seiner Konzentration. Außerdem war Grossinger’s routiniert im Umgang mit berühmten Gästen. Bobby genoss seinen Aufenthalt und schien bester Laune. Er träumte schon davon, wie ihn der Titelkampf zum reichen Mann machen würde. Schon jetzt blieb ihm von seinen Tantiemen, Preisgeldern und Antrittsprämien regelmäßig Geld übrig. Seiner Mutter schrieb er, es gehe ihm »finanziell ausgezeichnet«.
Zu jenem Zeitpunkt sah es danach aus, als würde das Preisgeld insgesamt 138 000 Dollar betragen; das wäre die höchste Summe gewesen, die je bei einem Schachwettkampf ausgelobt wurde. Bobby nahm sich vor, sich von seinem erhofften Reichtum nicht verändern zu lassen. Ruhm oder Geld, schrieb er mit einer gewissen Demut, dürften ihn »nicht vergessen lassen, wer ich wirklich bin. Ich muss die ewigen Werte im Auge behalten.«
Er freute sich zu hören, dass Regina ihre Prüfungen bestanden hatte und nun in den USA als Ärztin arbeiten durfte. Vielleicht, schrieb er hoffnungsvoll, würde sie ja zurück nach Amerika ziehen?
Um sich auf die Strapazen des Zweikampfs um die Weltmeisterschaft vorzubereiten, trainierte Bobby nicht nur den Geist, sondern auch den Körper. Er ging täglich in den Kraftraum des Hotels, schwamm einige schnelle Bahnen im Pool und spielte Tennis. Auch am Tennisplatz schien er alle zu beherrschen; von den Spielen gegen den angestellten Trainer des Hotels einmal abgesehen, gewann er üblicherweise alle Matches. Sein Aufschlag war elegant und kraftvoll, ebenso sein Return. Vor dem Aufschlag seines Gegenübers wirbelte er seinen Schläger in der Hand herum, trippelte hin und her und wiegte den Körper, immer bereit, nach links oder rechts zu starten. Auf dem Weg zurück zu
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