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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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von dem Foto kannte, auf dem die Rosells auf der Strandpromenade vor dem Atlantik posierten. Doch ein Blick durch das Fernglas entpuppte die vermeintlichen Häuser als hohe Silotürme einer Industrieanlage, und Stephan wunderte sich, dass die Behörden die Errichtung eines solch unansehnlichen Komplexes an der Touristenküste zugelassen hatten.
     
    Marie und Stephan richteten sich in dem Zimmer ein, das für einige Zeit ihr Zuhause sein würde und sie spätestens dann wieder verlassen würden, wenn Justus Rosell verstorben war. Der Gedanke daran passte nicht zu dem Anblick der vielen Touristen, die schon um diese frühe Uhrzeit nach dem Frühstück ihre Liegen ausgerichtet hatten und ihre Körper präsentierten. Kleine Kinder mit Schwimmflügeln kreischten im Wasser, ein Gummikrokodil flog in den Pool und traf klatschend auf das Wasser. Marie war neben Stephan auf den Balkon getreten. Sie hatten Aufenthalte in solchen Anlagen bislang vermieden und ihre Ziele abseits der großen Touristenburgen gesucht.
    »Es ist letztlich kein Urlaub«, sagte Stephan auf Maries unausgesprochene Frage. Das saubere, trotz seiner wohnlichen Farbgebung sterile Zimmer hatte nichts mit den verwinkelten und häufig auch schmuddeligen Unterkünften gemein, die sie bei ihren ersten Urlauben in England und Irland aufgesucht und in denen sie eine Behaglichkeit empfunden hatten, die sie hier nicht finden würden. Stephan merkte, dass ihrer neuen Wohnung in Dortmund noch das Leben fehlte. Sie hatten bisher zu wenig beachtet, wie sie wirklich leben wollten.
     
    Unterhalb des Balkons räkelte sich ein braungebrannter Pensionär auf seiner Liege und schlug die Bildzeitung auf. Marie lachte und ging wieder in das Zimmer. Sie nahm eine kleine Flasche Sagrotan aus der Handtasche, besprühte damit den kleinen Nachttisch neben ihrem Bett und wischte die Fläche mit einem Tuch ab. Stephan schüttelte ungläubig den Kopf.
     
     

7
    Justus Rosells Haus lag nur wenige Gehminuten entfernt. Marie und Stephan verließen die Hotelanlage am unteren Ende durch ein kleines Gittertor und traten auf die Küstenpromenade. Von hier aus sah man bereits das nur einige hundert Meter entfernt liegende Gebäude. Es war ein niedriges Haus in karminroter Farbe mit einem schwach geneigtem Dach, umgeben von einer ebenfalls karminroten Mauer mit verspielten Zinnen, die in Stufen der Hanglage folgend zum Meer hin das Anwesen wie eine Burg umschloss. Hinter dem Haus stieg das Gelände mit trockener spärlicher Vegetation an.
    Sie erreichten den Eingang über eine schmale Sackgasse, die die wenigen, in dieser exponierten teuren Lage angesiedelten Häuser erschloss und direkt vor Rosells Anwesen endete.
    Frau Rosell empfing beide am schmiedeeisernen, in die karminrote Mauer eingelassenen Tor. Dann ging sie voran ins Haus und bat, einen Augenblick in der Diele zu warten. Sie wolle ihren Mann erst mit einigen Worten auf den Besuch vorbereiten. Ruhe sei jetzt das Wichtigste, sagte sie. Sie ging durch einen kurzen Flur und verschwand in einem der angrenzenden Zimmer. Stephan stellte fest, dass der Grundriss dieses Hauses nach seinem ersten Eindruck demjenigen des Hauses in Dortmund ähnelte. Der Dielenboden war mit blau-weißen Fliesen belegt. An der Wand hingen einige Bilder mit kanarischen Motiven, auch einige mit Buntstiften gemalte Kinderbilder. Marie sah genauer hin und erkannte auf einem einen Piraten vor einem weißen Haus, das nah am Meer stand und dahinter von einem dunklen Berg dominiert wurde. Auf dem Haus stand eine große Satellitenschüssel, in die ein Mondgesicht gezeichnet war. ETRA-SAT stand in großen Druckbuchstaben darunter.
     
    Marie betrachtete noch das Bild, als Frau Rosell zurückkehrte. Sie lächelte.
    »Das sind Zeichnungen von meinem Neffen David«, sagte sie. »Er ist ein Piraten-Fan und was Sie sehen, ist das Piratennest.«
    »Und ETRA-SAT?«, fragte Marie.
    »Das ist der Sender des Piraten Etra«, erklärte Frau Rosell mit der Ernsthaftigkeit eines in seiner Fantasie lebenden Kindes. Dann lachte sie.
    »Heute haben die Piraten keine alten Segelschiffe mehr. Unsere Kinder gehen mit der Zeit. Etra bewohnt zwar noch ein romantisch gelegenes einsames Haus am Strand, aber ansonsten genießt er allen High-tech-Komfort. Er hat ein Atom-U-Boot, Raketen, die um die Erde fliegen, und eben den Sender ETRA-SAT, mit dem er die Welt beherrscht. So ist die Welt eines neunjährigen Jungen …«
    »In dem Alter denkt man noch, dass einem die ganze Welt offensteht«,

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