Endstadium
Salatauslagen und wählte langsam aus. Er gruppierte sorgfältig die Spargelstangen und Champignons neben die Rucolablätter und wurde dabei unversehens von einem dicklichen älteren Deutschen angerempelt, der sich ungeduldig drängelnd über die Salatschüsseln beugte und mit einer Zange nach den mit Kaviar garnierten Eiern schnappte, dabei Stephan anstieß, sodass sein Teller kippte und auf den Boden fiel. Marie empörte sich, doch bevor auch Stephan etwas sagen konnte, entschuldigte sich der Deutsche umgehend und ließ beiden errötend den Vortritt.
Nach dem Essen saßen Marie und Stephan auf der Plaza, tranken einen Wein und lauschten der Live-Band, die hier offensichtlich jeden Abend unter einem kleinen Glasdach spielte und die Gäste mit Discomusik unterhielt. Später am Abend sahen sie den dicken Deutschen wieder, der sich durch die engen Tischreihen zwängte, schließlich Stephan und Marie entdeckte und dann zielgerichtet auf sie zuging. Er winkte seine Frau herbei, die abseits am Rande der Plaza stand, und stellte sich schließlich als Hendryk Polloschek aus Gladbeck vor. Marie verdrehte überdrüssig die Augen, doch Herr Polloschek parierte mit unerwarteter Höflichkeit.
»Ich weiß, ich habe mich sehr unanständig verhalten. Gestatten Sie meiner Frau und mir, Sie auf einen Drink einzuladen. – Ich kann nur hoffen, dass Sie meine Entschuldigung annehmen.«
Inzwischen war Frau Polloschek bis zu ihrem Tisch vorgestoßen. Sie war nicht weniger korpulent als er, trug ein für ihre Figur unvorteilhaftes Top und war damit nicht alberner bekleidet als ihr Mann, dessen grell gemustertes Hawaiihemd sich über den dicken Bauch spannte und über der hellen Sommerhose abstand. Stephan fühlte sich unvermittelt an Hubert Löffke erinnert.
Die Polloscheks luden auf einen Caipirinha ein. Marie und Stephan erfuhren, dass sie zum wiederholten Male in diesem Hotel gastierten. Herr Polloschek kannte die Hotelanlage in- und auswendig. Er wusste die Leistungen des Hotels wie ein Reiseveranstalter zu preisen, lobte die gelungene Architektur und wusste, dass man im Prinzip die Anlage für einen gelungenen Urlaub nicht verlassen müsse.
»Hier bekommen Sie alles, was Sie brauchen«, erklärte er. »Nur wenn man einmal direkt an den Strand will, muss man unten am anderen Ende auf die Promenade und dann vielleicht 300 bis 400 Meter gehen.«
Marie sagte kaum etwas. Hendryk Polloschek war das Paradebeispiel eines deutschen Sonnentouristen. Es widerte sie an, wie er genüsslich die Erdnüsse knabberte, die der Kellner zu den Caipirinhas gereicht hatte. Und er stank nach Zigarre. Es war ein schwerer, etwas süßlicher Geruch.
»Und Sie?«, fragte Polloschek, »was treibt Sie auf die Insel?«
Stephan erwiderte nur, dass er und Marie das erste Mal auf Gran Canaria Urlaub machten.
»Da haben Sie hier das beste Hotel erwischt«, bekräftigte Polloschek. »Auch wenn hier nichts so ist, wie es scheint. Man glaubt, man befinde sich in einem gewachsenen kleinen Ort. Doch das stimmt nicht. Im Villa del Conde ist alles arrangiert.«
»Ich weiß«, antwortete Stephan knapp und blickte unverwandt auf die Band. Der Sänger imitierte gekonnt Frank Sinatras My Way. Das Publikum war begeistert.
»Vielleicht können wir mal was zusammen machen«, sagte Polloschek in den nachfolgenden Applaus. »Wir aus dem Ruhrgebiet haben doch immer die gleiche Wellenlänge.« Er stutzte. »Ich vermute doch richtig? Ihre Mundart ist unverwechselbar.«
Dann erhoben sich die Polloscheks. Sie ließen 30 Euro zurück. Mehr als genug, um alle Getränke zu zahlen. Sie verabschiedeten sich.
Marie und Stephan verließen schweigend den Platz und setzten sich noch eine Weile auf den Balkon ihres Zimmers. Links, weit hinten im Meer, sahen sie die kalte Beleuchtung der in das Meer gebauten Industrieanlage. Der Mond spiegelte sich im ruhigen Meer. Von rechts drang gedämpft die Live-Musik von der Plaza. An den Türmen der nachgebauten Kathedrale von Agüimes leuchteten mystisch violette Leuchtstäbe. Die Hoteldirektion ließ auf allen Balkonen die Lichter brennen. Das kleine künstliche Dorf lauerte in die Nacht hinein. Schräg gegenüber, jenseits des still glänzenden Pools, konnten sie schemenhaft die Polloscheks auf dem Balkon ihres Zimmers sehen. Täuschte sich Stephan, oder hob Herr Polloschek ein Glas und prostete ihm zu? – Nein, er irrte sich nicht. Stephan winkte unmerklich zurück. Polloscheks Zigarre glimmte schwach auf. Von rechts hörten sie
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