Endstadium
und wischte sich immer wieder Schweiß von der Stirn. Seine Haare waren nass, der Schweiß perlte von seinem Gesicht und die Arme glänzten feucht.
»Wenn das so ist«, begann er wieder, »und der Rosell das gar nicht weiß, dann kann Hobbeling nur hierher gekommen sein, um mit Julita Rosell zusammen den Mann zu erledigen. Allein wird sie das kaum schaffen. Also braucht sie Hobbeling. Alles andere macht keinen Sinn. Warum ist er sonst so bescheuert und wagt sich hier auf die Insel?«
»Man erkennt ihn nicht sofort«, sagte Stephan. »Er trägt jetzt die Haare ganz kurz.«
»Sie sind ganz dicht dran!«, lobte Schürmann.
»Ich sitze ja auch nicht den ganzen Tag hier im Gebüsch«, konterte Stephan. »Aber die beiden brauchen Rosell gar nicht zu töten. Das macht die Natur von allein. Die beiden müssen nur abwarten. – Jede Wette, Herr Schürmann, er ist tatsächlich krank! Ich habe ihn zwar nur einige wenige Male gesehen – und dann meist im Halbdunkel. Aber er ist krank, ganz sicher. Justus Rosell war stets ein recht hagerer Mann. Einem solchen Menschen steht der Tod vielleicht nicht so deutlich ins Gesicht geschrieben wie einem fülligeren, der durch die Krankheit deutlich abmagert.«
»Dann müsste die Versicherung zahlen«, folgerte Schürmann. »Julita hat zwar einen Liebhaber, aber die Ehe ist ja nach außen nicht gescheitert. Also behält sie das Bezugsrecht der Lebensversicherung.«
»Richtig«, stimmte Stephan zu. »Und es wäre sehr unbefriedigend. Es ist dann zwar nicht der Betrug, den Sie vermuten, aber so ein bisschen ist es schon so, oder?«
»Konfrontieren Sie ihn mit der Wahrheit«, sagte Schürmann. »Lassen Sie ihn Erklärungen unterschreiben! Tun Sie was für Ihren Mandanten! Sie können den Dingen doch nicht ihren Lauf lassen. Sie sind in der Pflicht, Herr Knobel! Er kann doch wohl noch etwas unterschreiben, oder geht das schon nicht mehr?«
»Ich weiß es nicht. Vorhin kam ich nicht einmal zu ihm. – Aber wie wollen Sie ihn dazu bewegen, etwas zu unterschreiben?«, wollte Stephan wissen. »Wollen Sie verantworten, ihm am Ende seines Lebens die Augen für die Wahrheit über seine Frau zu öffnen?«
Schürmann sah Stephan verwundert an.
»Wie macht man so etwas wohl, Herr Knobel? Man bereitet ein Schriftstück vor und lässt es sich einfach von ihm unterschreiben. Er muss es ja nicht wirklich gelesen haben, oder?«
Er zwinkerte mit den Augen. »Sie wissen, woran ich gerade denke …«
»Ich habe keinen Auftrag«, sagte Stephan.
Schürmann grinste verschmitzt. »Sie tun ihm was Gutes und der Frau nichts Schlechtes«, stellte er ungerührt fest. »Gut war Julita für ihn ohnehin nicht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie hat doch quasi die Firma geführt«, sagte Schürmann. »Wir haben das alles recherchiert. Als sie in das Unternehmen kam, hat sie von Anfang an alle geschäftlichen Dinge erledigt. Sie hatte alles unter Kontrolle. Sie machte formal die Buchhaltung, aber in Wirklichkeit beeinflusste sie ihn massiv, mit welchen Kunden er weiter zusammenarbeiten und zu welchen er die Geschäftsbeziehungen abbrechen sollte. Justus Rosell ist ein guter Tiefbauer. Er ist Handwerker, weiß, wie er mit seinen Baggern an die Sache rangeht. Aber er ist nie Geschäftsmann gewesen. Vor den wirtschaftlichen Krisenzeiten war das kein großes Problem. Es wurde gebaut, die Kommunen erteilten Großaufträge für Verkehrsbaumaßnahmen, und die Firma Rosell als solides Familienunternehmen war stets dabei. Aber die Konkurrenz wurde stärker und das Geschäft härter. Es kam die Umwandlung zur GmbH, und fast zeitgleich trat Frau Rosell auf die Bühne, die mit ihren buchhalterischen Fähigkeiten den Laden vom Büro aus führte. Sie benahm sich wie die große Dame von Welt, saß im geräumigen Büro separiert in einem Zimmer mit Glaswänden, und durch die Glaswände hindurch sah man sie dann dort wirken. Sie bereitete Verträge vor, schrieb Mahnungen und telefonierte endlos. Manchmal schrie sie dabei die Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung an, und dann gab es Telefonate, bei denen sie lachte und fast tuschelte. Sie war unberechenbar, die gute Julita Rosell.«
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte Stephan.
»Die Kolleginnen und Kollegen im Großraumbüro schätzen es gar nicht, wenn sie ignoriert werden und ebenso wenig, wenn ihnen vor der Nase die Tür zu dem kleinen Glasbüro zugeworfen wird, weil die große Dame wieder ihre Telefonate führen wollte. So war das, Herr Knobel. Man muss nur
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