Endstadium
Bier.
»Man muss viel trinken in dieser Hitze«, sagte er lakonisch.
Stephan setzte sich zu ihm. Überrascht stellte er fest, dass man von hier doch einen recht guten Einblick in das von der Mauer umschlossene Grundstück der Rosells hatte.
»Ein Blick durchs Fernglas?«, fragte Schürmann und reichte Stephan das Gerät.
Es war voller fettiger Fingerabdrücke und klebrig. Auch die Linse war schmutzig. Aber man konnte trotzdem alle Details gut genug sehen. Julita Rosell verließ gerade das Haus. Schürmann nahm Stephan das Fernglas ab.
»Üblicherweise geht sie um diese Uhrzeit nicht zum Einkaufen«, meinte er. »Das ist merkwürdig. Sie hat auch keine Tasche dabei.«
Schürmann ließ das Glas sinken, nahm eine schmuddelige Kladde zur Hand und notierte Uhrzeit und Vorgang.
»Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«, fragte Schürmann, als er den Kugelschreiber wieder in die Brusttasche seines karierten Oberhemdes steckte.
»Seit unserem Treffen in Puerto de Mogán haben wir keinen Kontakt mehr zueinander gehabt. Dabei dachte ich, Sie wären auf der richtigen Spur. Hat man Sie umgedreht, Herr Rechtsanwalt? Zahlt Rosell noch mehr als vorher?«
Stephan schüttelte den Kopf.
»Hier, nehmen Sie mal ein Bier!«
Schürmann öffnete eine kleine blaue Kühltasche und gab Stephan eine Dose.
»Immerhin haben Sie mich nicht verraten«, sagte Schürmann leutselig, während er den Verschluss zischend öffnete.
»Hier!«
»Frau Rosell hat Sie gesehen«, erwiderte Stephan. »Es gab nichts zu verraten.«
»Soll sie auch«, schmunzelte er. »Es macht sie nervös. Ständige Präsenz ist das richtige Mittel. Kein Mensch ist so dickfellig, dass er mit einem ständigen Schatten leben kann. Ich habe doch gesehen, wie heimlich Sie hier hochgekrochen sind, Herr Knobel. Die Rosells sollen nicht wissen, dass Sie hier sind, nicht wahr? Oder Sie spielen nur. Aber das glaube ich nicht.«
Er rülpste.
»Irgendwie verlottert man hier oben, aber ich gebe nicht auf, Knobel. Ich hoffe, die da unten wissen das!«
»Ich fürchte, es ist ihnen egal. Denn ich glaube nicht, dass es ein Betrug ist, Herr Schürmann. Justus Rosell ist wirklich krank.«
»Herr Knobel, jetzt fangen Sie nicht damit an!«, höhnte Schürmann. »Frau Rosell bereitet doch schon das große Finale vor!«
»Sie meinen den Ausflug mit dem Boot?«, fragte Stephan. »Julita ist Ihrer Frau davongefahren, nicht wahr? Ich habe es mir bildlich ausgemalt, wie Frau Rosell elegant in das Motorboot steigt, die Sonnenbrille aufsetzt und mit dem Boot schnittig aus dem Hafen in das offene Meer hinaus rauscht. Flatternde Haare, peitschendes Wasser, hinter dem Heck die schäumende Spur. Und Ihre Frau muss frustriert im Hafen zurückbleiben.«
Stephan lächelte.
»Machen Sie sich nicht lustig! Ich wusste nicht, dass die Frau ein Boot steuern kann.«
»Sie hat sich mit Hobbeling getroffen«, sagte Stephan vertraulich.
Schürmann blinzelte misstrauisch.
»Warum sagen Sie mir das jetzt? Es ist doch Ihre Mandantschaft! Hauen Sie Ihrer Klientel jetzt einfach so ins Gesicht?«
»Herr Rosell ist mein Mandant, nicht seine Frau«, korrigierte Stephan und nahm einen Schluck Bier. »Sie haben sich am Strand von Tasarte getroffen. Genauer gesagt in einem Haus direkt hinter dem Strand. Ein altes Gebäude auf einem Grundstück hinter einem verrotteten Tor. Meine Freundin hat sie dort gesehen.«
Schürmann sah ihn fragend an.
»Nicht weit von hier, vielleicht zehn Kilometer über das Wasser«, erklärte Stephan. »Man kennt den Ort nicht, wenn man vorher nichts darüber gehört hat.«
»Also bereiten sie von dort alles vor!«, frohlockte Schürmann. Plötzlich leuchteten seine Augen.
»Jens Hobbeling hat sich also tatsächlich hierher getraut. Und was wissen Sie noch?«
»Julita Rosell und Jens Hobbeling mögen sich sehr. Sehr sogar.«
»Ach, Herr Knobel, jetzt hören Sie auf! – Wollen Sie sagen, die haben etwas miteinander?«
Stephan schwieg. Schürmann ließ das restliche Bier aus der Dose in seinen Mund laufen. Dann zerknüllte er die Dose und warf sie zu seinem kleinen Rucksack, der am Fuße der Kaktee stand. Dort lagen schon drei Dosen.
»Herzlichen Glückwunsch, Herr Knobel, Sie sind ja ein richtiger Schnüffler! – Wenn es so ist wie Sie sagen, könnte Justus Rosell aber im Weg stehen«, meinte Schürmann. »Dann befindet er sich in Lebensgefahr. In tatsächlicher Lebensgefahr, meine ich. Denn sterben muss er ja nach Drehbuch ohnehin.«
Schürmann überlegte eine Weile
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