Endstadium
noch zusätzlich schaden? Für Sie sieht es danach aus, dass ich Jens und mir nur das Geld sichern wollte. Ich gebe zu: Wir nehmen es gern, aber es kommt uns nicht um jeden Preis darauf an. – Würden Sie einem todgeweihten Menschen offenbaren, dass die Liebe, an die er glaubt, gar nicht mehr existiert?« Frau Rosell legte nur eine rhetorische Atempause ein, dann beantwortete sie sich selbst: »Sie würden es nicht tun, Herr Knobel, was sich schon daraus ergibt, dass Sie meinem Mann von dem Scheidungsantrag nichts erzählt haben. Sie maßen sich ganz einfach an, in seinem mutmaßlichen Interesse zu handeln. Schämen Sie sich nicht?«
Julita Rosell hatte glänzend plädiert. Stephan wusste nichts zu erwidern. Er hatte in der Tat ohne Weisung gehandelt, aber er war sich auch sicher, dass Justus Rosell seine Entscheidungen gebilligt hätte, wenn er die Tatsachen gekannt hätte.
»Dass ich mit der Einleitung der Scheidung mein Erbrecht und auch das Bezugsrecht aus der Lebensversicherung verliere, weiß ich inzwischen«, fuhr Julita Rosell fort. »Die Frau, die sich bei mir meldete, hat es mir gesagt. Sie sagte auch, dass Sie beabsichtigen, für meinen Mann die Scheidung einzuleiten, und dass Sie mit Telefonlisten den Nachweis führen können, dass Jens und ich uns schon seit einigen Jahren kennen und deshalb die begründete Vermutung bestehe, dass Jens meinen Mann absichtlich nicht behandelt habe. Dass Sie die Scheidung in Wirklichkeit schon eingeleitet hatten, wusste ich da noch nicht. Das habe ich erst am Nachmittag durch den Anruf unserer Haushälterin erfahren.«
»Welche Frau?«, fragte Marie erstaunt.
»Die Frau, die gestern Morgen in aller Frühe anrief und mir riet, Ihnen vorzugaukeln, dass Justus schon tot sei. Ich solle dafür Sorge tragen, dass Sie mit allen Unterlagen nach Tasarte kommen und zusehen, dass ich in den Besitz der Vollmacht komme. Sie wollte ein Viertel der Lebensversicherungssumme und versprach, Stillschweigen über mein Verhältnis zu Jens und die Dauer der Beziehung und damit den schwerwiegenden Verdacht zu wahren, dass Jens meinen Mann absichtlich nicht behandelt und ihn dem tödlichen Verlauf der Krankheit ausgeliefert hat.«
»Ich verstehe gar nichts mehr«, sagte Marie.
»Die Anruferin war vermutlich die Ehefrau unseres vermeintlichen Pensionärs«, beantwortete Stephan Maries Frage. »Sie war über ihren Mann mit jedem Detail vertraut. Die Sache wird rund.«
Er wandte sich an Frau Rosell. »Die Anruferin verlangte von Ihnen also ein Viertel der Lebensversicherung. – Aber das konnte sie doch nur fordern, wenn sie sich sicher war, dass Sie die Lebensversicherung auch bekommen. Jetzt frage ich mich: Woher wusste die Anruferin, dass Sie die Lebensversicherung bekommen, wenn doch der Scheidungsantrag auf dem Weg war und mit seiner Zustellung das Bezugsrecht aus der Lebensversicherung erlosch? Wie erklären Sie sich das, Frau Rosell?«
»Es geht um Justus’ Erklärung«, antwortete sie wie selbstverständlich.
»Welche Erklärung?«
»Justus hatte sich vor etwa einem halben Jahr mit der Lebensversicherung in Verbindung gesetzt. Da war sein Schicksal längst besiegelt. Auch der Prozess gegen Jens war schon vorbei. Mein Mann begann, seine Dinge zu regeln. Und in diesem Zusammenhang sprach er auch noch einmal mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Quovoria, ob alles im Falle seines Todes klar gehe. Er wollte sichergehen, dass ich die Versicherungssumme bekomme. Daraufhin hatte ihm der Mann von der Versicherung geraten, schriftlich zu erklären, dass der Vorbehalt entfallen und ich die Versicherungssumme in jedem Falle, was auch immer geschehe, erhalten solle. ›Sicher ist sicher‹, hat er gesagt.«
»Und Ihr Mann hat so verfügt?«, fragte Stephan.
Julita Rosell nickte. »Er hat es so geschrieben, wie der Berater es wollte. Justus hat mir den Brief noch stolz gezeigt, bevor er ihn zur Post gab.«
»Hieß der Berater Schürmann?«, fragte Stephan weiter.
»Ja, ich glaube …« Frau Rosell hob fragend die Augenbrauen.
»Gesehen haben Sie ihn nie?«
»Ich? – Nein, nie. Auch Justus hatte nur telefonischen oder brieflichen Kontakt mit ihm.«
»Der dicke Mann im Hang hinter Ihrem Grundstück«, sagte Stephan lächelnd.
»Aber Sie sagten doch, der hieße Polloschek«, erwiderte Frau Rosell irritiert.
37
Marie und Stephan eilten ins Villa del Conde zurück.
»Ich habe alles verstanden«, sagte Stephan. »Schürmann hatte während und nach dem Prozess von Rosell gegen
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