Endstadium
Scheidungsantrag noch schnell den Tod ihres Mannes herbeiführen wollte, um der Zustellung des Scheidungsantrages zuvorzukommen.«
»Schürmann hat die richtigen Schlussfolgerungen gezogen«, befand Stephan. »Er hat jedenfalls aus Vorsorge das Richtige getan. Man kann nicht wissen, was Frau Rosell und ihr Liebhaber planten. Dass sie sich das Geld sichern wollten, dürfte jedenfalls klar sein.«
»Aber Julitas Sorge wäre nur berechtigt gewesen, wenn sie wusste, dass der Scheidungsantrag schon unterwegs war«, knüpfte Marie an ihre Gedanken an. »Allerdings: In diesem Fall gab es auch keine Veranlassung mehr, nach der Vollmacht zu suchen …«
»Ich glaube einfach, dass Schürmann intuitiv das Richtige getan hat«, bekräftigte Stephan, »nachdem er erkannt hatte, dass es Justus Rosells vermeintlichen Tod gar nicht gab.«
Sie schwiegen eine Weile und sahen abwechselnd auf Rosells Anwesen und den tiefblauen Atlantik. Am Horizont glänzten hellgrau die Silotürme von Arguineguín.
»Es ist nichts so, wie es scheint«, meinte Marie. »Gib mir mal dein Handy!«
Stephan reichte es ihr.
Sie wählte die deutsche Auskunft an und drückte auf die Mithörtaste.
»Ich melde mich noch mal in der Sache Rosell«, begann sie das Telefonat. »Es haben sich mithilfe Ihres Rentners einige neue Aspekte ergeben.«
Herr Schwamhof stutzte.
»Ich meine Herrn Schürmann, der für Ihre Versicherung viele Jahre tätig war«, half Marie.
»Ja, aber Schürmann ist nicht in Rente gegangen«, erwiderte Schwamhof verwundert. »Behauptet er das?«
Marie zögerte. »Nein«, antwortete sie schließlich. »Ich bin davon ausgegangen, dass er in Rente gegangen ist. Er ist ja auch schon älter.«
»Er hat es also nicht von sich aus behauptet?«, vergewisserte sich Schwamhof.
»Nein, bestimmt nicht. Was ist daran so wichtig?«
»Ich nehme an, der Verdacht des Betruges durch Rosell hat sich zerschlagen, oder etwa nicht?«, fragte Schwamhof unbeirrt weiter. »Oder gibt es Hinweise, dass Justus Rosell gesund ist? Das würde mich allerdings wundern.«
»Nein, er ist tatsächlich krank«, bekräftigte Marie.
»Und was hat Schürmann Sensationelles herausgefunden?«, forschte Schwamhof.
»Im Ergebnis nichts anderes«, sagte sie, »aber es gibt etliche Ungereimtheiten …«
»Gut, ich darf etwas vorwegschicken, Frau Schwarz«, unterbrach Schwamhof. »Sie entnehmen meinen Bemerkungen, dass das Verhältnis unseres Unternehmens zu Herrn Schürmann nicht das beste ist. Ich habe bei Ihrem Besuch in unserem Hause in Düsseldorf davon noch nichts gesagt. Aber meine damalige Bitte, mich über den weiteren Fortgang in der Sache Rosell zu unterrichten, war genau in diesem gestörten Verhältnis begründet. Deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie mich anrufen. Und ich gehe davon aus, dass Herr Schürmann jetzt nicht neben Ihnen steht.«
»Ich bin allein«, sagte Marie.
»Gut. Unsere Gesellschaft hat das Arbeitsverhältnis mit Herrn Schürmann vorzeitig aufgelöst. Es gab gravierende Probleme in der Zusammenarbeit.«
»Alkohol?«, fragte Marie.
»Gewiss ist es ein Problem, wenn ein Mitarbeiter an einem Tag in Summe mehrere Liter Bier trinkt. Wesentlicher – und vielleicht mit der Trunksucht zusammenhängend – ist allerdings, dass Schürmann ein Besessener ist. Er witterte hinter allen möglichen Versicherungsverhältnissen Betrügereien. Wir sind gewiss dankbar, wenn unsere Mitarbeiter zuverlässig und gewissenhaft handeln und honorieren, wenn Betrugshandlungen aufgedeckt werden. Aber es geht natürlich nicht an, wenn bar jeder Vernunft weiter gefahndet wird, obwohl sich die Verdachtsmomente nicht erhärtet haben. Ein solches Gebaren bringt unsere Versicherungsgesellschaft in Misskredit. Der Fall Rosell war für Schürmann so etwas wie seine persönliche Nagelprobe. Selbstverständlich drängen sich Fragen auf, wenn relativ kurz vor einer tödlich verlaufenden Erkrankung eine Lebensversicherung mit einer solch hohen Summe abgeschlossen wird. Auch der eigenartige Prozess Rosells gegen seinen Arzt warf Fragen auf. Aber wir fanden nun einmal keine Beweise dafür, dass Rosell unsere Gesellschaft betrügen wollte oder sie betrogen hat. Der Abschluss der Lebensversicherung erfolgte offensichtlich vor dem Hintergrund, dass Justus Rosell seine Firma in eine GmbH überführt hatte. Bis dahin hatte er keinerlei Altersvorsorge betrieben, was seinen Grund wohl darin hatte, dass er geschäftlich etwas – sagen wir – ungelenk ist. Gedacht war also an eine
Weitere Kostenlose Bücher