Endstadium
Hobbeling geforscht, ob ein Betrug dahinterstecke und festgestellt, dass dem nicht so war. Aber er fand heraus, dass Julita und Jens ein Verhältnis miteinander hatten. Er wusste, dass Justus bei Abschluss der Lebensversicherung verfügt hatte, dass Julitas Bezugsrecht erlischt, wenn die Ehe gescheitert ist, also ein Scheidungsantrag gestellt ist. In Kenntnis dieser Umstände veranlasste er Rosell, die sogenannte auflösende Bedingung, wonach also Julitas Bezugsrecht im Falle des Scheiterns der Ehe erlischt, rückgängig zu machen. Mehr noch: Justus verfügte auf Schürmanns Weisung nunmehr, dass Julita in jedem Fall die Lebensversicherungssumme erhalten solle. Das heißt: Sie würde die Summe bekommen, selbst wenn die Ehe scheiterte. Rosell hat dies schriftlich gegenüber der Versicherung erklärt, aber ich wette, dass Schürmann diese Erklärung nicht in der Akte in seinem Büro gelassen hat. Er wird sie sicher aufbewahren, um sie geldbringend für sich verwenden zu können. Erinnere dich: Schwamhof wusste davon nichts. Die Erklärung befindet sich jedenfalls nicht in der virtuellen Akte, die er dir auf dem Bildschirm gezeigt hat. – Schürmann wusste von Rosells Hass auf Hobbeling und dem Sprengstoff, der vor diesem Hintergrund in der Beziehung zwischen Julita und Jens steckt. Es galt nun, Justus Rosells Schriftstück nutzbar zu machen. Das war von Anfang an sein Plan gewesen. Die Gelegenheit kam, als in der Zeitung angekündigt wurde, dass Justus Rosell zum Sterben nach Gran Canaria übersiedelt und von seinem Anwalt begleitet wird. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird Frau Schürmann, die ja ebenfalls bei der Versicherung arbeitet, Rosells Erklärung aus der Akte und aus dem Computer entfernt haben, wenn sie denn dort jemals überhaupt enthalten war. Der Zeitungsartikel war für die Schürmanns die Initialzündung: Sie hefteten sich an uns, provozierten das Zusammentreffen im Villa del Conde, machten sich durch Schürmanns Schleichen um Rosells Haus und ihr Verschwinden aus dem Villa del Conde interessant. Sie wären mit Sicherheit auch dann wieder mit uns in Kontakt getreten, wenn du Schürmanns Identität nicht über die Versicherung herausgefunden hättest. Dann setzten sie uns auf die Fährte des vermeintlichen Versicherungsbetruges. Dass dieser Verdacht haltlos ist, wusste Schürmann. Er animierte uns, am Fall zu bleiben, Julita Rosell im Auge zu behalten und ließ uns das Verhältnis zwischen Julita und Jens entdecken, von dem er selbst längst wusste. Worauf es ihm ankam: Er musste die Scheidung einleiten lassen, denn nur in diesem Fall konnte er aus Rosells Schriftstück Kapital schlagen. Würde Justus versterben, ohne dass zuvor seiner Frau der Scheidungsantrag zugestellt worden wäre, hätte sie wie vorgesehen die Versicherungssumme erhalten. Allerdings konnte er die Scheidung erst zu einem Zeitpunkt anregen, als Justus Rosell bereits so geschwächt war, dass er mit mir keinen Kontakt mehr aufnehmen konnte. Es gab nur eine kurze Zeitspanne, in der Schürmann seinen Plan verwirklichen konnte. Jetzt verstehe ich auch seine Nervosität. – Wir waren so blind, Marie! Er hat uns für seine Zwecke instrumentalisiert. Schürmann brauchte einen Anwalt, der das Scheidungsverfahren einleitete.«
Stephan begann zu laufen.
»Warum rennst du so, Stephan?«
»Die Zeit rennt uns davon, Marie. Ich muss einen Schriftsatz an das Familiengericht schicken. Schnell! – Schürmanns Problem war, dass Rosells Tod vor Zustellung des Scheidungsantrages einzutreten drohte. Deshalb schwenkte er vorsorglich auf den Plan B um, dessen Ziel uns Julita gerade erklärte. Schürmanns Frau steckt mit drin. Das ist sonnenklar. Erinnerst du dich, dass ich am Telefon vom Familiengericht gefragt wurde, ob ich schon einmal wegen der Zustellung des Scheidungsantrages angerufen hätte? Ich hielt diese Frage damals für einen Irrtum, aber es hatte tatsächlich jemand schon früher deswegen angerufen. Es war Schürmann oder seine Frau gewesen. Beide warteten aus nahe liegenden Gründen ungeduldig auf die heiß ersehnte Antwort. Erinnerst du dich, wie erleichtert Schürmann war, als das Gericht die Zustellung des Scheidungsantrages bestätigte? – Wir waren so dumm, Marie!«
Sie erreichten verschwitzt die Hotelanlage und liefen in den Internetraum. Stephan schrieb hastig einen Schriftsatz an das Familiengericht in Dortmund, unterschrieb ihn und sandte ihn vorab als Telefax ab. Dann tat er das Original des Schreibens in einen
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