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Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi

Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi

Titel: Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xanthippe Verlag
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die Wärmeflaschen auswechsle.»
    «Ist er denn nicht beim Professor?», wundert sich Amalia.
    «Nein, er ist fast immer bei ihr, bei der Lady. Ich soll ihm berichten, wenn etwas ist.»
    Maria geht zur Feuerstelle, hebt eine grosse Suppenkelle von der Schnur und schöpft heisses Wasser aus dem Caldor. Sie nimmt jede einzelne Flasche sorgfältig aus dem Korb, macht den Verschluss langsam auf, füllt das Wasser ein, als handle es sich um ein kostbares Gut, das nicht verschüttet werden darf, und stellt sie in ihren Korb zurück. Zuletzt wirft sie einen Blick auf die beiden, und schon ist sie wieder verschwunden.
    «Und uns sagst du dann auch Bescheid, ja, Maria?», ruft Amalia ihr nach, als sie ihr in den Gang hinaus folgt.
    Arme Maria! Früher war sie ein bildhübsches Mädchen. Ebenmässige Züge, schwarzes, dichtes Haar – dieses Haar! Seit ihrem Unfall ist sie wirklich verunstaltet. Die Oberlippe und die ganze Seite des Gesichts hat sie sich aufgeschlagen damals, und das ist nicht mehr schön geworden. Wie wenn ihr jemand mit voller Wucht … Irgendwie ist das ganze Gesicht nicht mehr normal seither. Wenn sie wenigstens gerade laufen würde! Amalia denkt an den kleinen Louis, den Maria retten wollte. Er hatte sich zu weit hinausgewagt. Wegen eines Zickleins, dummer Bub. Hätte er es doch gelassen, das wäre sicher von sich aus wieder in den Stall zurückgekommen. Aber hier in der Gegend sagen sie oft, ein Vieh ist mehr wert als ein Kind. Ein Kind ist nur ein Maul mehr zum Stopfen.
    Ihre Cousine ist für sie früher immer eine Art Vorbild gewesen. Als kleine Mädchen haben sie zusammen gespielt, und später, als sie schon junge Frauen waren, hat Amalia sie ein, zwei Mal im Sommer auf die Alp begleitet. Amalia hat Maria immer beneidet. Auf der Alp, da kämmten sie sich nach dem Waschen manchmal gegenseitig die Haare. Amalia erinnert sich, wie schön sie Marias schwarzes, glänzendes langes Haar fand. Dieses Haar! Sie berührte es gerne, strich mit den Fingern hindurch, kämmte und flocht es. Sie war immer ein wenig enttäuscht, wenn sie es wieder zusammenbinden mussten. Manchmal, wenn sie ganz alleine hausten, liessen sie ihre Haare den ganzen Abend offen und spielten wilde Bergprinzessinnen.
    Einmal, als Maria zwölf oder dreizehn Jahre alt und Amalia schon ein paar Jahre älter war, da lagen sie zusammen auf der Sommerwiese. Die Gräser kitzelten sie im Nacken, die würzige Luft duftete ihnen tief ins Herz. Sie trugen keine Schuhe, lagen im Gras. Maria hatte Amalia lauter kleine Blümchen ins geflochtene Haar gesteckt. Blaue, rote, gelbe und weisse. Maria sagte, sie sehe wunderhübsch aus, wie eine Braut. Amalia konnte sich nicht sehen. Maria wollte unbedingt, dass sie ihr Spiegelbild im Wasser anschaute. Der Wind kräuselte den Lüsgersee. Amalia bat Maria, ihr zu erzählen, wie sie aussehe. Maria schwärmte und fand, mit den Blümchen werde sie die Schönste auf dem Bergfest sein. Sie schwörte es sogar. Aber Amalia wusste immer, dass Maria schöner war, wunderschön, auch ohne Blümchen. So schön, wie sie es noch bei niemanden gesehen hatte. Sie löste Maria den Zopf, die liess sich das gern gefallen. Damals schüttelte sie ihre Lockenpracht. Maria legte sich auf einen Stein. Zärtlich breitete Amalia Marias Haar aus, um es im Wind wehen zu lassen. Amalia dachte damals, sie liebe ihre Cousine. Sie versprachen sich ewige Treue. Und sie legten sich zueinander und kugelten den Hügel hinunter, bis sie beide nicht mehr konnten und mit sturmem Kopf liegen blieben. Sie lachten laut und jauchzten. Wie freuten sie sich auf das Leben! Noch heute kann Amalia dieses wundervolle Haar in ihren Händen spüren.
    Wie lange das her ist. Maria ist eine jener Frauen, die früher fröhliche Mädchen waren und die dann, im Leben, ihre Freude verloren haben. Das hat Amalia für sich nie gewollt. Mit einer gewissen Genugtuung stellt sie fest, dass der Vergleich mit Maria heute klar zu ihren eigenen Gunsten ausfällt. Amalia weiss, dass sie eher stattlich ist als schön, eine zu grosse Nase hat und schräg gestellte Augen. Aber wenn sie sich herausgeputzt hat in der Sonntagstracht und zur Kirche geht, dann macht sie einen schönen Staat. Gerade und aufrecht gehen, hat ihre Mutter immer gesagt. Das hat etwas für sich.
    Nein. Heute ist Amalia diejenige, die den Neid anderer Frauen auf sich zieht. Sie hat es zu etwas gebracht. Sie hat auch keinen Einheimischen geheiratet. Sondern einen aus dem Welschwallis. Und sie kann mit Pierre

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