Endstation Belalp - ein historischer Bergkrimi
sich unnötig dem Verdacht aussetzen? Aber andererseits lässt sich nicht abstreiten, dass hier auch ein geradezu idealer Ort und Zeitpunkt ist. Nie sind so viele Bergsteiger gleichzeitig am selben Ort, und alle könnten es irgendwie gewesen sein. Also geht der Mörder in der Menge unter. So ein Austausch von Medikamenten lässt sich leicht arrangieren. Einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und in zwei Minuten ist der Spuk vorbei. Und dann nur noch den Dingen ihren Lauf lassen. Elegant, muss Amalia sich eingestehen, wenn es denn wirklich Absicht war. Und vieles spricht dafür.
«Was war denn mit Maria?», fragt Weva.
«Was meinst du?»
«Sie ist kurz hier hereingestürmt und dann gleich wieder weggelaufen.»
«Ach so, ich weiss auch nicht, was sie hat. Sie ist eben launisch. Ist jetzt oben beim Professor am Wachen.»
«So?», Weva blickt kurz auf.
«So sag doch auch einmal etwas, Weva, wir versuchen doch hier alle, einander zu helfen.» Amalia wird nun doch ein bisschen ungeduldig.
Weva schaut ihrer Nichte aufmerksam in die Augen. Nicht vorwurfsvoll oder anklagend, aber lange. Amalia kann diesem Blick nicht standhalten.
Plötzlich sieht Amalia vor dem Fenster einen Schatten. Sie steht auf. Durch die weissen Vorhänge späht sie nach draussen.
«Weva, komm. Rasch.»
«Was ist denn! Ich hab zu tun.»
«Nein, komm jetzt. Das musst du sehen», drängt Amalia.
Weva steht langsam auf, hält sich das Kreuz und fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn.
«Was soll sein?»
«Da, das ist doch die kleine Giovanna. Die Nichte der Peffirellis, die aus Chamonix. Die haben doch ein Kindermädchen mitgebracht. Und mit ihr … wart, jetzt dreht er ein wenig den Kopf. Das ist doch … Duncan Farthing. So, so.»
«Lass sie doch», versucht Weva abzulenken.
«Meinetwegen. Aber jetzt sag ich dem Butterworth, dass es keines von unseren Mädchen war, das er gesehen hat.»
«Wieso? Sagt er das?»
«Er hat angedeutet, dass meine Mädchen sich ungebührlich benehmen.»
«Ach, und jetzt denkst du…»
«Sicher. Ich denke nicht, Weva, ich sehe. Das ist ein grosser Unterschied. Was der wohl mit der …»
Wohl wieder so eine, die eine gute Partie machen will, denkt Amalia. So ein Duncan Farthing mit reicher Erbtante, das kann interessant sein.
«Da kommen zwei aus derselben Schicht zusammen», bemerkt Weva.
«Eben nicht.»
«Ich dachte, die Peffirellis haben Geld?»
«Sie schon», Amalia setzt einen vielsagenden Blick auf.
«Aha. Aber die Nichte…?», Weva blickt erstaunt.
«Die ist aus seiner Verwandtschaft. Die gleichen sich nur zufällig, die Signora und die Giovanna. Und er selber ist zwar ein angesehener Ingenieur. Aber das Geld hat sie.»
«Ja so», Weva widmet sich wieder ihren Kartoffeln.
«Ihr Vater war in Amerika am Eisenbahnbau beteiligt und ist reich geworden», fährt Amalia fort.
«Was du alles weisst», sagt Weva wie nebenbei, als ob sie nicht richtig zugehört hätte.
Amalia hebt die Stimme an. «Man muss über seine Gäste Bescheid wissen.»
Weva. Sie hat noch nie richtig verstanden, was es alles mit sich bringt, Hôtelière zu sein. Man muss sich für die Gäste interessieren, auch privat etwas über sie wissen. Diskret natürlich. Weva hat am Anfang zu Amalia gesagt, sie arbeite gern im Hotel mit. Aber nur unter der Bedingung, dass sie nichts mit den Gästen zu tun habe. Amalia hat versucht, ihr Interesse zu wecken. Aber Weva sagt immer, sie kenne schon genug Leute. Sie brauche keine neuen Bekanntschaften. Die Lady, die ihr das Rezept gegeben hat, ist die Ausnahme geblieben.
«Nur schade, dass du nicht ganz alles weisst», brummelt Weva. «Dann wäre dieses Theater nämlich bald vorbei. Wer ist denn jetzt oben? Maria, sagst du?»
«Beim Professor? Ja», gibt Amalia zurück.
«Hat es die Vreni nicht gekonnt», stellt Weva fest.
«Nein, die war vorhin weiss wie die Marmorstatue der Heiligen Maria in der Gliser Kirche.»
«Kein Wunder, so einen Sterbenden zu sehen, das geht ihr sicher nahe.»
In diesem Moment kommt Maria mit einem Korb voll Wärmeflaschen in die Küche.
«Musst du neue haben?», erkundigt sich Weva plötzlich ganz geschäftig.
«Ja.» Maria scheint nicht gesprächig zu sein.
«Weisst du etwas von droben?», versucht Amalia es dennoch.
«Der Professor schläft schon seit einiger Zeit.» Maria zögert. «Aber es ist kein normaler Schlaf, viel tiefer. Man kann nicht mit ihm reden.» Wieder hält Maria inne. «Der Doktor ist rübergekommen und wollte, dass ich
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