Endstation Kabul
ihm wurde auch das während der Massud-Tage verübte Attentat auf Präsident Karzai im September auf die Fahne geschrieben, war er doch der größte Gegner der proamerikanischen Regierung in Kabul.
Wir guckten alle konzentriert auf die Szenerie. War das wirklich Gulbuddin Hekmatyar, der Führer der Hezb-e-Islami, den wir da klar und deutlich sehen konnten? Hundertprozentig sicher waren wir uns nicht. Aber es reichte uns für den Moment. Die Sache wurde uns nun zu heiß. Sollte das wirklich der Gesuchte sein, würden seine Männer nicht lange fackeln, wenn sie uns entdeckten. Vorsichtig und sehr langsam wichen wir zu unseren Fahrzeugen aus. Dort atmeten wir nur kurz durch und sausten schnell zurück Richtung Kabul. In den Fahrzeugen herrschte betretenes Schweigen. Ich versuchte, mir jede Einzelheit dieses Gesichts, das ich durch mein Spektiv gesehen hatte, einzuprägen und bloß nichts zu vergessen. Im Camp isolierten wir uns sofort und rekapitulierten unser Vorgehen. Reihum berichtete jeder, was er gesehen und erkannt hatte; die Ergebnisse hielten wir auf einem Flipchart fest.
Als alle ihre Beobachtungen geschildert hatten, übergab uns Andrik die Identifikations-Mappe. Er hatte bereits die Seite aufgeschlagen, auf der Hekmatyar zu sehen war. Schweigend wurde die Mappe von Mann zu Mann weitergereicht, bis zu mir. Ich nahm sie an und blickte in zwei Adleraugen, sah den dunklen, sehr gepflegten Spitzbart und das längliche Gesicht mit der hohen Kopfbedeckung. In diesem Moment hatte ich keinen Zweifel, dass es genau dieser Mann war, den wir dort gesehen hatten. Ich starrte auf das Foto und überlegte, welche Konsequenzen dieses brisante Aufklärungsergebnis nach sich ziehen könnte. Nachdem sich alle das Foto in der Mappe angeschaut hatten, fragte Andrik in die Runde: »Was glaubt ihr? War es Hekmatyar?«
Alle sieben Mann unseres Teams nickten und sagten unisono, dass sie sehr, sehr sicher seien, dass es Hekmatyar gewesen sei. Das ganze Kommando saß wie auf Kohlen und wartete, wie es nun weitergehen würde. Schließlich fasste ich mir ein Herz und ging noch am selben Tag in die Abteilung J2, um dort direkt Bericht zu erstatten. Der diensthabende Hauptmann hörte sich meinen Bericht aufmerksam an. Jetzt hieß es warten.
Besuch vom Kanzler und ein Ausflug
mit dem deutschen General
Da ich in den letzten Tagen sehr stark eingebunden gewesen war, verordnete mir das niederländische Kommando einen Ruhetag. Mein niederländischer Chef dachte sogar daran, sich bei der deutschen Aufklärungskompanie abzusichern. Dort meldete er, ich sei weiter mit den KCT unterwegs, und rettete mich so vor dem Zugriff meines deutschen Vorgesetzten. Ich fühlte, dass ich einen Tag zum Ausspannen bitter nötig hatte. Einfach mal die Füße und vor allem die Seele baumeln lassen, duschen, rasieren, neue Uniform, dreckige Wäsche abgeben. Das war schon Luxus.
Meinen freien Tag verbrachte ich im Bereich der KCT. Ich wollte nicht Gefahr laufen, jemandem aus der Aufklärungskompanie über den Weg zu laufen. Schon schräg, dachte ich. Jetzt verstecke ich mich schon vor meinen eigenen Leuten, den Deutschen. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich ziemlich am Ende war. Der Akku war leer, mein Körper schmerzte. Ständig war ich müde und konnte kaum noch die Füße richtig heben und schlurfte in meiner schlackernden Uniform energielos durch die Gegend. Bei den strapaziösen Einsätzen unter klimatisch extremen Bedingungen hatte ich viel Gewicht verloren. Viel mehr, als ich dachte, wie sich später herausstellen sollte.
Hatte ich schon seit geraumer Zeit eine gewisse »Leck mich am Arsch«-Einstellung gehabt, so potenzierte sich dieses Gefühl nun noch. Es war mir wirklich alles egal. Egal, was der Chef der Aufklärungskompanie in seinem Kämmerlein ausbrütete. Im Stillen freundete ich mich schon mit dem Gedanken an, bald wieder zu Hause zu sein. Das Einzige, was mich in dieser schwierigen Zeit noch aufrecht hielt, war meine enge Bindung zu meinen niederländischen Kameraden der KCT. In ihnen hatte ich meinen »Alex-Ersatz« gefunden, den ich dringend brauchte. Leute, die mich auf den Boden der Realität zurückholten, etwas wie eine Familie. Ich würde das Vertrauen und die Kameradschaft dieser Männer vermissen, wenn sich unsere Wege trennen würden. Aber noch war ich ja da und genoss meinen freien Tag in vollen Zügen.
Bei unserer nächsten Patrouille sollten wir uns einen Überblick über die Anzahl gepanzerter Fahrzeuge in Kabul
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