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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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gut verstecken können, wie wir am nächsten Tag erstaunt feststellten.
    Wir fuhren an diesem Tag sehr weit Richtung Osten, auf der Route Grimson. Schon bald umschlossen uns links und rechts hohe Felswände, die Straße wurde immer steiler. Irgendwann lag die Ortschaft Gazak vor uns, ein unbedeutender kleiner Marktflecken, der uns die Grenze der AOR anzeigte. Wir zögerten nur kurz und fuhren dann weiter in den Talkessel. Unser Teamführer gab uns über Funk die weitere Vorgehensweise durch: Wir sollten der Straße noch etwa eine Stunde lang folgen und dann umkehren. So fuhren wir durch diese karge Gerölllandschaft. Einmal sahen wir eine kleinere Ansammlung von Hütten in den Bergen liegen, das war aber auch das einzige Zeichen menschlichen Lebens. Wir fuhren und fuhren, drangen immer tiefer in den uns unbekannten Canyon ein, bis wir plötzlich am Horizont eine kleinere Ortschaft vor uns erkannten. Etwas beunruhigt hielten wir an. Wir alle hatten noch die Erfahrungen mit dem mutmaßlichen Taliban-Nest Mayda in den Knochen. Jochem und Lambert blieben bei den Fahrzeugen zum Sichern, ich machte mich mit den fünf anderen auf die Suche nach einem guten Beobachtungspunkt. Wir wollten uns diesen kleinen Ort ein bisschen genauer anschauen. Nachdem wir eine kleine Senke durchschritten hatten, befanden wir uns auf einem etwas überhöhten Punkt, vielleicht 800 Meter von der Ortschaft entfernt. Diese Distanz war ausreichend, um die Ortschaft einer näheren Überprüfung zu unterziehen.
    Wir bezogen Stellung und packten unsere Waffen mit den Fernoptiken aus. Was wir zu sehen bekamen, war eine ganz typische, unspektakuläre Szenerie: Eine Menge Afghanen in typischer Landestracht – teils mit Esel am Zügel, teils ohne – gingen ihren Geschäften nach. Sie trugen Sandalen, Schlabberhosen und knielange Hemden, hatten Tücher um den Kopf gewickelt und entweder Decken über den Schultern oder alte Armee-Jacken an. Das musste nichts bedeuten, sondern war vielleicht ein abgelegtes Kleidungsstück eines Soldaten. Es schien ein ganz normales, beschauliches Örtchen zu sein, ich konnte nichts Verdächtiges entdecken.
    Plötzlich berührte mich mein Nebenmann leicht an der Schulter. Ich sah erstaunt zu ihm hin. Er nickte in eine bestimmte Richtung, auf die ich nun ebenfalls meine Optik ausrichtete. Nun kamen auf einmal sehr viele japanische Geländefahrzeuge in mein Sichtfeld. Ich war sehr verwundert, hier so eine große Anzahl von Fahrzeugen zu sehen. Gerade in kleinen Bergdörfern waren die Menschen sehr arm und schon froh, wenn sie sich einen Esel als Lasttier leisten konnten. Diese motorisierten japanischen Lastesel aus Blech und Plastik lagen normalerweise weit außerhalb ihrer finanziellen Möglichkeiten. Die Sache wurde also langsam interessant.
    Nach circa zehn Minuten kam plötzlich Bewegung in unser Blickfeld. Martialisch aussehende und bewaffnete Gestalten tauchten vor und neben der japanischen Fahrzeugflotte auf. Ich spannte mich an und versuchte, mein Fernrohr so ruhig wie möglich zu halten. Plötzlich zog mein Nebenmann scharf die Luft ein. Auch ich hörte auf zu atmen, als ich eine hagere Gestalt mit strengen, langen Gesichtszügen und gepflegtem, spitz zulaufendem Bart, abgeschirmt durch die Bewaffneten ein Haus verlassen und sich auf die Fahrzeuge zubewegen sah. Mein Nachbar flüsterte nur fragend: »Hekmatyar?«
    Ich stutzte und rief mir angestrengt das Bild des Mannes in unserer Identifikations-Mappe ins Gedächtnis. Langsam erschien das Bild vor meinen Augen, und ich war mir nun auch ziemlich sicher. Dieser Mann hier vor meiner Linse musste Gulbuddin Hekmatyar, der Führer der Hezb-e Islami, der »Islamischen Partei« sein. Inzwischen verfolgte das ganze Team jeden seiner Schritte. Hekmatyar stand in einer Traube von Menschen, die sich ihm nur sehr langsam und ehrfürchtig näherten. Auch dieses Verhalten deutete darauf hin, dass wir eine Persönlichkeit von hohem Rang und Ansehen vor uns hatten.
    Gulbuddin Hekmatyar war damals ein beinahe ebenso gesuchter Gegner der Amerikaner wie Osama bin Laden. Dieser charismatische Mann, ein sunnitischer Paschtune, war im Krieg gegen die Russen ein von Pakistan, Saudi-Arabien und sogar den USA unterstützter Mudjaheddin-Führer gewesen, der aber standhaft den direkten Kontakt zu den amerikanischen Waffenlieferern verweigerte. Auch nach dem Krieg hatte Hekmatyar großen Einfluss: Er war schon Verteidigungsminister und sogar Regierungschef unter Präsident Rabbani gewesen, und

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