Endstation Kabul
seine Bewässerungsvorrichtung nicht ab, sodass mir ein Schwall Wasser über meine Stiefel und Hosenbeine spritzte. Ich war so sauer, dass ich den Mann aus seinem Führerhaus zog und ihn anschrie. Ich stand da, mit nassen Füßen und Hosenbeinen, und schüttelte den armen Kerl durch, während ich ihn auf Deutsch anschrie. Er verstand natürlich kein Wort und sah mich nur ängstlich an. Schon nach fünf Sekunden wurde mir die Lächerlichkeit meiner überdrehten Reaktion klar und ich ließ den armen Mann los.
Er sah mitgenommen aus und sackte fast vor mir zusammen. Ich musste ihn mir wieder greifen. Dieses Mal aber, damit er nicht umkippte. Als er sich gefasst hatte, zeigte ich ihm durch Gesten, dass er weiterfahren könne. Erleichtert stieg er in sein Fahrzeug, ich schaute ihm erst nachdenklich nach und dann in die Gesichter meiner Teamkameraden, die ebenso nachdenklich mich ansahen. Jochem kam auf mich zu und klopfte mir aufmunternd auf die Schultern. Nun schüttelte ich selbst den Kopf darüber, wie dünnhäutig ich mit zunehmender Einsatzdauer geworden war. Normalerweise konnte mich nichts so leicht aus der Ruhe bringen – und eben hatte ein harmloser Wasserschwall genügt, um mich beinahe aus der Haut fahren zu lassen. Das gefiel mir nicht, so gefiel ich mir nicht. Fast bereute ich, vor kurzem meine Verlängerung beantragt zu haben. Vielleicht wäre es besser, das Land so bald wie möglich zu verlassen. Ich war am Ende, meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, wie meine überzogene Reaktion auf diesen kleinen Vorfall bewies.
In Gedanken versunken, fast komplett in mich gekehrt, verbrachte ich den Tag vor der Hochschule, um die Handelskonferenz abzusichern. Glücklicherweise passierte sonst nicht mehr viel, was auch gut war. Denn nach dem Vorfall konnte ich mich kaum noch auf meine eigentliche Aufgabe konzentrieren. Auf dem Weg zurück ins Camp saß ich still auf dem Rücksitz und ließ mir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Mein Team half mir dabei, indem es mich einfach in Ruhe ließ. Sie spürten wohl, dass ich die Sache gerade mit mir selbst ausmachte. Für diese Rücksicht war ich ihnen sehr dankbar.
Der Tag des Kanzlers war da. Das ganze Camp vibrierte und brummte vor hektischer Betriebsamkeit. Ich hatte mir vorgenommen, nah, ganz nah an Gerhard Schröder heranzukommen, da ich ihn vom Typ her sehr sympathisch fand. Schröder, durch und durch Medienmensch, traf einfach immer den richtigen Ton, wo auch immer er sich befand. Bis auf sein »suboptimales« Verhalten nach der verlorenen Bundestagswahl kann man ihm nichts vorwerfen, finde ich. Ich wollte die Gelegenheit nutzen und ihm wenigstens einmal die Hand schütteln. Die Bedingungen dafür waren ganz gut. Die Kommandos waren nur in den Konvoi vom Flughafen zum Camp eingebunden, ansonsten hatten wir an diesem Tag keine weiteren Aufträge oder Sicherungsmaßnahmen durchzuführen. Nachdem die Fahrzeugkolonne im Camp angekommen war, machte ich mich Hals über Kopf auf zum Stabsgebäude, da Schröder dort eine Einweisung in die Lage des deutschen Kontingents erhalten sollte. Meine niederländischen Kameraden hatten mir im Davoneilen noch grinsend viel Spaß mit dem deutschen Kanzler gewünscht – und den sollte ich auch haben.
Ich harrte mit etlichen anderen Neugierigen aus. Als das Briefing des Kanzlers zu Ende war, öffnete sich die Tür, und Schröder kam zusammen mit General Schlenker heraus. Der Kanzler strahlte alle Soldaten um ihn herum an und wechselte mit dem einen oder anderen auch ein paar Worte. Ich hatte mich bereits in die Schlange eingereiht und wartete gespannt, dass er zu mir käme. Endlich war ich an der Reihe, Schröder ging auf mich zu und schüttelte mir die Hand. Punkt eins auf meiner Liste war damit abgehakt. Nun konnte Punkt zwei folgen. Mit einem Grinsen sagte ich: »Herr Bundeskanzler, Ihre Haare sind aber wirklich gefärbt!« Auch er musste lachen und sagte nur grinsend: »Ach hörn’se auf, hörn’se auf! Alles Gute weiterhin!«, drückte noch einmal kurz meine Hand und entschwand. Punkt zwei, der mir auf der »Seele« gebrannt hatte, war damit auch erledigt. Befriedigt und mit einem Lächeln auf dem Gesicht ging ich zum Mittagessen. Hatte mir das kurze Intermezzo mit dem Kanzler meine Meinung über ihn doch bestätigt. Einfach ein sympathischer Mensch, egal welcher Partei er angehörte oder wie gut seine Politik war.
Dann stand schon das nächste Intermezzo mit einem »hohen Tier« an: Der Chef der KMNB, General
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