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Endstation Mosel

Endstation Mosel

Titel: Endstation Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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im April wechselten sich Sonne und Regen ab. Der noch vor wenigen Minuten heftig über die Landschaft fegende Platzregen hatte nachgelassen. Bei Wittlich hatte sich die Fahrbahn in eine Seenplatte verwandelt. Die Temperatur war unter zehn Grad gefallen.
    »Den Tipp hab ich von einem Freund. Die machen das manchmal in ihrer Werbeagentur so, wenn im Team neue Ideen entwickelt werden sollen«, Walde blätterte in den Informationen, die ihm Grabbe über den Orden der Gebenedeiten Schwestern Steineroth und die Einrichtungen ausgedruckt hatte. »Es war nur schade, dass wir nicht länger Zeit hatten.«
    Walde vertiefte sich wieder in Grabbes Unterlagen.
    »Eine Leprastation in der indischen Provinz, ein Krankenhaus in Kalkutta, eine Klinik in Dubai, in Paraguay, in Belgien«, las er vor. »Eine ziemlich bunte Mischung ist das.«
    »Das war für Eifeler Verhältnisse schon ein ziemliches Durcheinander, als ich vor zehn Jahren dort war«, erzählte Harry. »Da liefen Schwestern aus mehreren Kontinenten rum.«
    »Hübsch?«
    »Hör’ mal, das waren Ordensschwestern in Tracht. Außerdem hatte ich andere Sorgen.«
    »Du hattest den Unfall im Dienst?«
    »Ich bin nicht selbst gefahren, wenn du das meinst, aber ich hatte meine Beine ein halbes Dutzend mal gebrochen und bekam ein paar Stahlstifte eingesetzt. Es hat zwei Monate gedauert, bis ich dort in die Reha kam, und noch mal so lange, bis ich halbwegs wieder laufen konnte.«
    Es hatte wieder stark zu regnen angefangen. Harry stellte die Scheibenwischer auf die höchste Stufe, um der Gischt eines Lastwagens, den er gerade überholte, Herr zu werden.
    »Ich war noch ein ganz kleiner Bulle in der Provinz, der Kommissar werden wollte. Aber als Invalide kann man kein Kommissar werden.«
    »Aber als Kommissar umso schneller Invalide«, ergänzte Walde.
    »Wenn dich der Bus vor zwei Jahren erwischt hätte, als du den Kindermörder vom Mofa gestoßen hast, würdest du jetzt keine Späße machen«, beschwerte sich Harry.
    »Dann würde ich jetzt wahrscheinlich überhaupt nichts mehr tun.«
    »Ich hatte mich damals schon ernsthaft nach anderen Jobs umgesehen. Mit fünfundzwanzig in den Ruhestand, da wäre ich durchgedreht«, erzählte Harry weiter. »Als es so langsam wieder aufwärts ging, hab’ ich viel beim Wachdienst der vermaledeiten Kliniken rumgehangen. Eine Zeit lang hatte ich überlegt, mich vielleicht bei denen zu bewerben.«
    »Und?«
    »Zwei Jahre später konnte ich wieder die fünftausend Meter in neunzehn Minuten laufen.«
    *
    Nach einer weiteren halben Stunde bogen sie von der Landstraße in das Gelände der Kliniken der Gebenedeiten Schwestern des Klosters Steineroth ein. Hinter den beiden Parkhäusern sperrten zwei Schranken die Einfahrt zum eigentlichen Klinikgelände ab. Durch die mit einem Automaten gekoppelte Schranke wurden alle Fahrer mit Berechtigungskarte geschleust. Harry ordnete sich in die Spur ein, die direkt zum Wärterhaus führte.
    Nachdem er seinen Dienstausweis gezeigt hatte und an der Pforte vorbeigefahren war, fragte Walde: »Und, hast du noch jemanden von damals erkannt?«
    Harry schüttelte den Kopf und parkte den Wagen auf einem für Behinderte reservierten Parkplatz vor einem großen zusammenhängenden Gebäudekomplex aus Backstein, der aus dem alten Krankenhaus, dem Kloster und der Klosterkirche bestand.
    Noch bevor Walde protestieren konnte, war Harry aus dem Auto gestiegen und eilte auf den Haupteingang zu. Dort standen Patienten in Freizeitanzügen und Bademänteln Zigaretten rauchend um zwei wie Taufbecken wirkende Gefäße herum.
    Einige schauten zu Walde herüber, als er aus dem Wagen stieg. Für einen Moment überlegte er, ob er eine Behinderung vortäuschen sollte, ließ es dann aber bleiben. Er schlenderte auf ein kleines Wäldchen zu. Der Weg schlängelte sich einen mit mächtigen Bäumen bewachsenen Hügel hinauf. Niemand begegnete Walde. Der Regen hatte aufgehört, doch bei Windstößen prasselten dicke Tropfen aus den noch spärlichen Blättern der Bäume. Über den Weg war eine Metallkette gespannt, an der ein Schild »Nur für Befugte« hing. Walde schaute im Lageplan nach, den Grabbe ausgedruckt hatte. Das Gebäude mit dem Schornstein war das alte Heizwerk und auf dem Hügel befand sich das Gästehaus der Gebenedeiten Schwestern. Ausgerechnet jetzt ergoss sich eine weitere Ladung Wasser von oben. Da, wo die Tropfen das Papier trafen, löste sich umgehend die Tinte auf.
    Walde beugte sich schützend über den Plan. Als das

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