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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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Junge ist natürlich bei einer Lindenthaler Dame, die ihn in ihren Kinderpuff steckt, viel besser aufgehoben als bei einem Nippeser Kleinkriminellen, der ihn liebt. Ich dachte, du bist aus Chorweiler?«
    »Es geht hier nicht um Veedel, Katja.« Sie wirkte verletzt. Hatte ich ihr unrecht getan? Soweit ich wusste, nicht. Schrapp, machte der Rollladen, den ich innerlich herunterließ.
    Dann spürte ich plötzlich, wie mein Kiefer sich verkrampft hatte und mein Atem flach geworden war. Ich atmete, so ruhig ich konnte, ein und lange aus. Sah Tina an. Versuchte, daran zu denken, dass sie als Polizistin anders funktionieren musste, als ich das vielleicht gern hätte.
    »Tut mir leid«, murmelte ich.
    »Schon gut«, erwiderte sie.
    »Hör mal«, ich beugte mich leicht zu ihr vor, »ihr müsst den Kleinen finden. Und wenn ihr ihn habt, dann müsst ihr ihn erst mal zu Hotte bringen. Ihr richtet sonst etwas ganz Schreckliches an.«
    »Ich werd’s versuchen. Ich rede mit meinem Vorgesetzten. Okay?«
    Als ich endlich wieder draußen war, rief ich als Erstes Stefan an und bekam den Anrufbeantworter dran. Bat ihn, zurückzurufen. Fuhr nach Hause und erstattete Hertha Bericht. Sie wirkte angeschlagen. »Werd du mir jetzt nicht krank!«, flehte ich innerlich, »mir ist so schon alles zu viel.« Ich warf ihr einen fragenden Blick zu.
    Sie zuckte die Achseln. »Weißte«, sagte sie schließlich, »ich krieg das nich jebacken mit dem Kleinen. Dem Marco. Dat is …« Sie steckte sich eine Kippe an, blies umständlich den Rauch aus. »Dat is doch … ich versteh dat nit. Wie man ‘nem Kid so wat antun kann.« Sie sah mich hilfesuchend an.
    »Ich weiß es auch nicht Hertha. Ich glaub, das kann niemand verstehen. Zumindest niemand, der noch ein Mensch ist.«
    Sie nickte. »Aber ich krieje dat nit ausm Kopp. Wie soll der Jung denn wieder normal werden? Der kann dat doch nit verjessen? Kann man so jet verjessen?
    »Ich weiß es nicht«, murmelte ich und fühlte mich so hilflos wie sie. Ich legte ihr die Hand auf den Arm und drückte ihr einen leichten Kuss auf die Wange. »Ich muss rüber. Arbeiten.«
    »Die Nele is drüben beim Hotte«, sagte sie und hob vielsagend die Augenbrauen.

ELF
    Ich las alles, was ich zum Thema Sehnsucht gesammelt hatte, und mailte die Leute an, die ich dazu interviewen wollte. Martin rief ich direkt an. Martin ist Stefans Bruder, Kameramann und im Laufe der Zeit ein guter Freund geworden. Er ist acht Jahre älter als mein Liebster, war Hippie und hatte sich Anfang der Siebziger dem Treck nach Shangri-La angeschlossen. War in Kabul hängen geblieben und bekam immer glasige Augen, wenn er im Fernsehen Bilder vom Hindukusch sah.
    »Würdest du mir etwas über deine Sehnsucht nach dem Orient erzählen«, fragte ich ihn, »für ein Feature über Sehnsucht?«
    »Was du immer für schöne Themen machst!«, seufzte er.
    Na ja, dachte ich. In meinem vorletzten Beitrag war es um den Drogenstrich auf der Geestemünder Straße und im letzten um Sterbehilfe gegangen.
    Martin war, wie er sich ausdrückte, zu allen Schandtaten bereit. »Und ich hab auch eine Frage an dich«, fügte er hinzu. Er habe einen Berliner Regisseur kennengelernt, berichtete er, der jetzt auch für den WDR arbeite. So einen hübschen, schlaksigen, der ein bisschen arrogant wirke. Ob ich den zufällig kennen würde?
    Es handelte sich tatsächlich um den Typen, mit dem ich meine letzte Geschichte produziert hatte. Ich erzählte Martin, wie es abgelaufen war, und wollte wissen, warum er sich für den Mann interessierte.
    Weil er vielleicht mit ihm arbeiten würde, erwiderte er.
    »Aber du machst doch Spiel?«, fragte ich irritiert.
    »Och, manchmal mache ich auch gerne mal ‘ne Doku. Und in dem Fall kenne ich die Autorin, die ist in Ordnung, sie meint bloß, sie hätte kein Händchen für Regie. Ich seh das anders, aber offenbar haben sie ihr das in der Produktionsfirma eingeredet. Und diesen Regisseur angeheuert. Der soll geradezu brillant sein.«
    »Aber der macht Hörfunk!«
    »Nö, bloß nebenbei mal. Der kommt vom Fernsehen.«
    »Worum geht’s denn in der Doku?«
    »Um Missbrauch. Von kleinen Jungs. In Kambodscha.«
    Mir fiel fast der Hörer aus der Hand.
    »Wie?«, fragte ich dämlich.
    »Wie, wie?«
    »Ach, vergiss es. Ich hab bloß grade mit einem schwer missbrauchten kleinen Jungen zu tun. Und irgendwie ist das schon ein komischer Zufall.«
    »Na ja, das gibt’s häufiger, als wir es alle wahrhaben wollen.«
    Ich schrieb gerade die Liste mit

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