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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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beide.
    »Diesmal hat er mich aber machen lassen. Ich hab ihn dann gewaschen, ne, untenrum.« Lange Pause. Es fiel ihm sichtbar schwer, weiterzureden. »Erst mal den Schmutz weggemacht, ne? Und dann den Waschlappen sauber gemacht und noch mal … Der Pico hat gewimmert, wie so ‘n Tierchen. Und dann war der voller Blut. Der Waschlappen. Und dann is das dem Kleinen die Beine runtergelaufen.«
    Hotte drehte sich von uns weg. Sah aus dem Fenster.
    Tina starrte auf den Fußboden, die Hände hatte sie zu Fäusten geballt.
    Als ich mich wieder halbwegs gefangen hatte, sagte ich: »Hotte, erzähl bitte weiter, wir müssen die Kinder suchen.«
    »Ja.« Er setzte sich zu uns an den Tisch und räusperte sich. »Ich hab versucht, das Blut mit kaltem Wasser zu stillen. Irgendwann hat’s auch aufgehört. Ich hab zu ihm gesagt, hörma, Jungchen, morgen gehen wir zum Arzt. Das geht so nich. Du kannst mir ja nich verbluten. Ich hab ihn gehalten, weißte? Und da hab ich gespürt, wie der wieder stocksteif geworden ist. Und er hat den Kopf geschüttelt, so …« Hotte machte es uns vor: Kniff die Augen fest zusammen, presste die Lippen aufeinander und riss den Kopf von links nach rechts, von rechts nach links, immer wieder. »So, ne? Ich hab gesagt: ›Marco, du musst wieder gesund werden. Wir wollen dir doch nur helfen.‹ Und da is der vor mir zurückgewichen, wie wenn ich der Teufel wär.«
    Hotte stand wieder auf und lief in der Küche auf und ab. Mein Handy läutete, ich wollte es läuten lassen, ging aber aus irgendeinem Grund doch dran.
    »Katja?«
    Ich erkannte die Stimme nicht. »Ja?«
    »Hörma, ich find ihn nich. Ich hab überall gesucht, überall, der is nirgends!«
    Ich formte stumm das Wort »Chantal« mit den Lippen. Hotte sprang vom Tisch auf und streckte die Hand nach meinem Handy aus. Ich schüttelte den Kopf.
    »Wo bist du?«
    »Am Spielplatz. Ich war schon überall!«
    »Hör mal, Chantal, ich bin grade bei Hotte. Komm her, wir suchen den Marco zusammen. Wir müssen jetzt einen Plan machen, dafür brauchen wir dich, hörste?«
    »Aber du rufst dann die Bullen.«
    Das »Nein« lag mir auf den Lippen. Eine Stimme in mir sagte: Ehrlichkeit!
    »Katja?«
    »Bleib dran, Chantal, Hotte sagt grade was.«
    »Gib mir den Hotte«
    »Gleich, bleib dran.«
    Ich hatte keine Zeit zu überlegen. Musste mich auf meinen Instinkt verlassen.
    »Hör mal, Süße«, fing ich an. »Die Tina Gruber ist auch da. Weißte, die Polizistin, von der ich dir erzählt hab. Die ist okay. Die tut nichts, was dir oder Marco schaden könnte. Und wenn sie’s versucht, versteck ich euch woanders. Hörste? Das hat sie jetzt grade auch gehört. Und die weiß, dass es mir ernst ist. Kommste jetzt bitte? Sofort? Wir müssen Marco finden.«
    Es war so still in der Leitung, dass ich dachte, sie hätte eingehängt. »Chantal?«
    »Ja.«
    »Kommste bitte?«
    Noch mal Schweigen. Dann: »Mhm.«
    Ich lehnte mich zurück und atmete aus. Fühlte mich, als hätte ich die ganze Zeit die Luft angehalten.
    Tina versuchte, Hotte zu befragen, während wir auf das Mädchen warteten. Gab es aber bald wieder auf, denn Hotte konnte sich nicht konzentrieren. Er saß sprungbereit auf seinem Stuhl, und als wir den Schlüssel im Schloss hörten, war er auch schon an der Wohnungstür. Ich folgte ihm. Hotte hielt die schluchzende Chantal in den Armen. Streichelte ihr unbeholfen über das Haar.
    Schließlich riss sie sich von ihm los und schlug mit der Hand gegen die Wand. Schrie: »Ich find den nich! Wieso find ich den nich! Scheiße!« Diesmal schlug sie so heftig zu, dass sie sich anschließend erschrocken die Hand rieb. Dann sah sie mich und fauchte: »Wo sind die Bullen?«
    »Hier«, sagte Tina Gruber. Sie stand in der Küchentür und streckte Chantal die Hand hin. Die sie ignorierte. Sie stapfte in die Küche und kickte einen der Stühle gegen den Herd.
    »Schsch«, sagte Hotte.
    Chantal stellte den Stuhl, der umgefallen war, wieder auf und setzte sich rittlings darauf.
    »Wo hast du denn gesucht?«, fragte ich.
    »Wie, wo? Überall, was meinst du denn?«
    »Und wo überall?«
    Plötzlich ging ihr die Luft aus. Sie sackte in sich zusammen und sah aus wie ein tränenverschmiertes Häufchen Elend. »Ich bin erst mal zum Spielplatz, hab da in allen Büschen geguckt, aufm Parkplatz, oben aufm Weg. Überall, sag ich doch. Dann bin ich runter zur Neusser und da rum. Und dann wieder zum Spielplatz …« Sie schaute mich zweifelnd an. »Aber vielleicht isser ja zum

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