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Endstation Nippes

Titel: Endstation Nippes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Strobl
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Sie schüttelte den Kopf, biss sich auf die Lippen, strich fahrig mit der Hand über die Tischplatte. Ich hielt ihr die Zigarettenschachtel hin. Sie nahm zerstreut eine heraus und ließ sich von mir Feuer geben. »Wir müssen den finden«, sagte sie schließlich.
    »Wir müssen den kriegen. Oder die.«
    »Ja«, stimmte ich ihr zu.
    »Was tut eigentlich deine Bullentante? Tut die was?«
    Gute Frage. Ich fand, Tina tat eindeutig zu wenig. Wusste aber nicht, woran das lag. Darüber wollte ich mit ihr sprechen, wenn sie später noch mal vorbeikam. »Wir müssen reden«, hatte sie gesagt und komisch geguckt.
    Ich erzählte Hertha, was bei der Kambodscha-Recherche herausgekommen war. Aber sie hörte nicht wirklich zu. Fragte stattdessen: »Was issn mit der ihrem Bruder?«
    Erst verstand ich nur Bahnhof, aber dann begriff ich. Verfluchte mich dafür, dass ich nicht selbst und früher draufgekommen war.
    »Man müsste bloß wissen«, überlegte Hertha laut, »wie die Grimme geheißen hat.«
    »Richtig. Und das muss Tina herausfinden.«
    »Kann ja wohl nicht schwierig sein«, knurrte Hertha.
    Zurück in meiner Wohnung holte ich die Kopie des Grimme-Büchleins aus dem Versteck. Las den gesamten Text noch einmal Satz für Satz. Und sah plötzlich: »Er«. Sie schrieb meistens »die Männer«, aber zwischendrin auch »er«:
    Die Frau weiß nicht mehr weiter. Er sagt: Man kann ihn bald nicht mehr zusammenflicken. Du musst ihn loswerden. Die Frau bringt den Jungen zur Schule. Die Lehrerin sagt: Der Junge muss zum Psychologen. Die Frau hat Angst. Die Frau weiß nicht mehr weiter. Er sagt: Du bist unfähig! Du bist abstoßend! Du bist zu nichts nütze. Er wird böse. Er wird sehr böse. Er schlägt die Frau.
    Dieser »Er« war offensichtlich eine ganz bestimmte Person, eine, die direkt mit Frau Grimme zu tun hatte. Ihr Mann? Aber der war zum fraglichen Zeitpunkt nachweislich nicht in Deutschland gewesen. Der Bruder? – Der Vater?, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Was war mit dem Vater? Ich hatte ihn bisher aus meinen Überlegungen ausgeschlossen, weil ich gedacht hatte, er sei zu alt. Aber die Grimme war in etwa in meinem Alter oder sogar jünger. Wenn der Typ bei ihrer Geburt Anfang zwanzig gewesen war, dann war er jetzt maximal Anfang sechzig. Das beste Alter für einen pädophilen Freier in den Kinderpuffs von Thailand und Kambodscha.
    Ich konnte nicht mehr stillsitzen. Warum, verdammte Hacke, fluchte ich, hat Tina das alles nicht recherchiert? Das ist doch ihr Job! Sie ist die Polizistin, sie hat den Zugang zu all den Daten! Entweder Tina hatte wirklich bei der Arbeit gepfuscht, oder sie verschwieg mir etwas. Ich tigerte durch die Wohnung und wurde immer noch wütender. Das Telefon klingelte, ich ließ es läuten.
    »Katja, Liebste, wenn du da bist, geh bitte dran«, bat Stefan mit besorgter Stimme.
    Ich nahm ab. Am liebsten hätte ich sofort losgesprudelt und ihm von meinen neuen Erkenntnissen erzählt, aber ich hielt mich zurück. Hoffte, er würde heute Abend kommen. Ohne dass ich ihn darum bitten musste.
    »Katja!«, seufzte er erleichtert. »Pass auf, ich habe um achtzehn Uhr noch einen Klienten. Das heißt, ich werde so gegen Viertel vor acht in Nippes sein. Ich kann den Termin aber auch absagen. Dann könnte ich schon früher bei dir sein.«
    Ich sagte, Viertel vor acht wäre völlig okay. Dankte ihm, dass er kommen wollte. War schon wieder den Tränen nahe.
    »Sollen wir zu Franco gehen? Ich lade dich ein. Oder möchtest du lieber zu Hause bleiben?«
    Mit dem Tonfall konnte er vermutlich einen potenziellen Selbstmörder vom Dach holen.
    »Franco wär super«, schluchzte ich.
    »Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr!«
    »Ich dich auch.« Ich hängte ein, bevor ich einen Weinkrampf bekam. Lehnte mich gegen die Wand und dachte: »Ich habe einen Freund, der mich liebt. Der mich echt liebt. Der sich Sorgen um mich macht. Wahnsinn!«
    Geliebt hatte mich Haari, meine erste große Liebe, zwar auch. Aber es wäre glatt gelogen, wenn ich jetzt behaupten würde, er hätte sich Sorgen um mich gemacht. Sorgen hatte Haari sich nur darum gemacht, ob er genügend Stoff für den nächsten Druck hatte. Und Jeff, na ja. Der hat mich sicher geliebt und sich garantiert tierische Sorgen um mich gemacht. Er war bloß nie da, um mich in den Arm zu nehmen, wenn ich es wirklich gebraucht hätte. Kathmandu ist ja auch was weit von Köln. Insofern war Stefan eine echte Premiere. Ich beschloss, ab sofort freundlicher zu ihm zu sein.
    Ich

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