Endstation Nippes
zurück.
»Das ist Emil, mein Neffe. Er ist dreizehn. Und geht vermutlich in Köln anschaffen. ›Vermutlich‹ bezieht sich auf Köln, nicht auf Anschaffen. Deshalb bin ich hierhergezogen. Ich versuche, ihn zu finden. Meine Schwester fürchtet, er ist tot. Ich habe ihr versprochen, ihn zu suchen. Der junge Mann auf dem Bahnhof hat mir angeboten, mir bei der Suche behilflich zu sein.« Er verstaute das Foto wieder im Rucksack. »Stört es Sie, wenn ich rauche?«
Ich stellte den Aschenbecher vor ihn hin und verkniff es mir, eine mitzurauchen.
»Ich bin verheiratet und habe eine vierzehnjährige Tochter und einen Sohn in Emils Alter. Aber wie Sie vermutlich wissen, bedeutet das gar nichts.«
Ich nickte. »Der Junge hat Sie vermutlich abgezogen.«
»Abwarten.«
Ich sah ihn mir genau an, seinen Gesichtsausdruck, seine Körperhaltung, versuchte zu spüren, was er ausstrahlte. Es war jedenfalls nichts eindeutig Negatives. Ich beschloss, ihm zu glauben.
»Danke für Ihre Offenheit.«
»Mir geht die Sache mit dem Jungen – Ihrem Jungen – nahe. Wie Sie vielleicht verstehen können. Und ich dachte, der Täter sei gefasst?«
Ich erzählte ihm in einer sehr verkürzten Version, warum ich den Mann für unschuldig hielt.
Martin gab einen knurrenden Laut von sich. »Hat die Polizei dieses Notizbuch, Katja? Hast du das der Polizei gegeben?«
»Ja, natürlich.«
»Aber warum sagen sie dann, dieser Obdachlose sei der Täter?«
»Das weiß ich nicht, Martin. Und ich finde es ziemlich beunruhigend.«
»Vermuten Sie etwas Bestimmtes?«, fragte Sebastian.
Ich rang kurz mit mir und beschloss dann, Tina Gruber vorläufig noch zu schützen. Behauptete also, ich hätte keine Ahnung. »Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar«, fügte ich hinzu, »wenn Sie Ihre Kambodscha-Connections nach einem Hans Grimme, nach einer Hilfsorganisation, die sich F.I.C. nennt, und nach einem alten und einem mittelalten Mann namens van Maarsens fragen könnten.«
»Van Maarsens?«
»Ja. Ich kann und möchte noch nicht mehr dazu sagen. Und Sie müssen vorsichtig sein. Es darf sich nicht herumsprechen, dass sich jemand für diese Namen interessiert.«
»Wissen Sie was, Katja? Ich sage der Autorin, dass Sie sich bei ihr melden werden. Ich mache nur die Regie. Die Expertin ist sie, und sie hat auch die Kontakte.«
Er gab mir ihre Telefonnummer, und als er ging, war er mir fast sympathisch.
Martin stand an meinem Küchenfenster und trommelte mit den Fingern auf das Fensterbrett.
»Was ist das für eine Horrorgeschichte?«
Ich sagte ihm, ich hätte jetzt keine Zeit, wüsste nicht, wo mir der Kopf stünde vor lauter Arbeit, ich würde ihm irgendwann alles erzählen, bloß nicht jetzt.
»Katja, bist du gerade dabei, dich in Gefahr zu bringen?«
»Quatsch!« Dann fiel mir der »Anal-ohne-Gummi«-Typ ein, der sich in unserem Hausflur herumgetrieben hatte. »Ich weiß es nicht, Martin. Aber es geht nicht, dass diese Dreckschweine einfach weitermachen können, mit dem nächsten Kind, das ihnen in die Hände fällt. Und dass ein Mann, der Marco geholfen hat, für sie in den Knast geht.«
Martin umarmte mich und drückte mich fest an sich. »Pass auf dich auf, Mädchen. Und grüß meinen Bruder, falls du ihn mal siehst.«
Ich schob ihn zur Tür raus. Und sah gerade noch, wie ein glatzköpfiges Muskelpaket durch die Haustür verschwand. Ich klopfte bei Hertha.
»Was’n los?« Sie war so breit, dass sie kaum geradeaus gucken konnte.
»Nichts. Leg dich hin, ja?«
»Mhm.«
Scheiße, dachte ich. Sie verkraftet es nicht, dass sie jetzt wieder allein ist. Nahm mir vor, öfter bei ihr vorbeizuschauen. Als ich meine Wohnungstür absperren wollte, klingelte es. Sicherheitshalber fragte ich erst mal, wer da war. Der Typ im Hausflur machte mir irgendwie Sorgen. Es war Gitta. Ich drückte auf den Summer und freute mich total, sie zu sehen. Sank in ihre Arme und ließ mich von ihr halten. Dann wollte ich lossprudeln, ihr alles erzählen, was seit unserem letzten Treffen passiert war, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Hast du die Nachrichten gehört?«
Hilfe!, dachte ich. Was ist jetzt schon wieder? »Nein?«
»Der Mann, den sie verhaftet haben wegen Marco – er hat sich in der Zelle erhängt.«
»Nein!« Ich schrie so laut, dass Gitta zusammenschrak. »Nein!« Ich schlug mir die Hände vors Gesicht und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Komm!« Gitta schob mich in das Wohnzimmer und drückte mich aufs Sofa. »Ich mach uns Tee.«
»Bring mir das
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