Endstation Nippes
Kinder herankommen könnten. Und dann hatte er mit ihr einen Plan ausgeheckt. Er wollte noch einmal in das Heim gehen und dort andeuten, er sei an einem Kind interessiert.
Was er auch tat. Er wurde weggeschickt, merkte aber, dass einer der Mönche ihm folgte. Also schlenderte er zu Fuß in eine kleine Seitenstraße, nicht weit von dem »Kinderheim«. Hier hängen die Jungs ab, die Feuerzeugbenzin schnüffeln und betteln. Jeffs Freund versprach einem von ihnen hundert Rupies, wenn er mitkam. Er ging mit dem Jungen in eines der heruntergekommenen Hotels, die es hier haufenweise gibt, nahm ein Zimmer, bestellte dem Jungen eine Cola und fragte ihn, ob er und seine Kumpels etwas über die Mönche und die Kinder in dem Heim wüssten. Worauf der Junge sich versteifte und sagte, er müsse jetzt gehen. Jeffs Freund hielt ihn noch ein Weilchen auf, dann gab er ihm die hundert Rupies, und der Junge lief, wie von Furien gehetzt, davon. Als Jeffs Freund aus dem Hotel kam, stand, wie erhofft, der Mönch davor und sprach ihn an. Genauer gesagt: Er bot ihm an, anderntags gegen vier Uhr nachmittags vorbeizuschauen. Er könne sich dann ein Kind aussuchen, das er gern »fördern« würde.
Ich stand auf und lief ein paar Schritte durch das Zimmer. Überlegte, ob ich eine rauchen sollte, ließ es aber sein. Setzte mich wieder an den Rechner und las weiter.
Dann, berichtete Jeff, war alles schiefgelaufen. Als sein Freund um vier Uhr vor dem Heim vorfuhr, rasten von allen Seiten Polizeiautos auf ihn zu. Sie nahmen ihn fest, schleppten ihn auf die Wache und beschuldigten ihn des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Erst als der Anwalt seiner Familie und die leitende Sozialarbeiterin von Maiti einschritten und die Situation erklärten, ließ man ihn frei. Aus den Nachrichten erfuhren sie dann: Die Polizei hatte einen Einsatz gegen ein Haus in Tamel vorbereitet, in dem Kinder als Prostituierte an vornehmlich westliche Männer verkauft wurden. Als die Polizei am Einsatzort erschien, hatte sie das Haus jedoch leer vorgefunden. Die Betreiber des Kinderbordells waren offenbar gewarnt worden. Nur einen – einheimischen – Kunden hatte man festnehmen können. Damit war vermutlich Jeffs Freund gemeint.
Jetzt musste ich doch eine rauchen. Ich stellte mich mit der Kippe ans Fenster und fluchte vor mich hin.
Sein Freund, fuhr Jeff fort, war nun erst recht motiviert, der Sache nachzugehen. Nach der freundlichen Überreichung einer gewissen Summe in Dollarnoten war einer der Polizeioffiziere bereit gewesen, mit ihm zu sprechen. Der Mann war nicht nur geldgierig, sondern auch ehrlich frustriert, meinte Jeffs Freund. Er hatte den Einsatz akribisch vorbereitet, nur wenige Kollegen eingeweiht – und dann war doch etwas durchgesickert. Die Kinder, sagte der Polizist, waren zwischen acht und zehn Jahre alt. Und in der Mehrheit Jungen, was eher ungewöhnlich war für Nepal, denn »diese Leute«, hatte der Polizist gemeint, würden sich eher in Kambodscha umsehen.
Er war selbst als Freier dort aufgetreten, berichtete er weiter, und hatte versucht, den kleinen Jungen, den man ihm übergeben hatte, auszufragen. Der Junge habe aber unter Drogen gestanden und sei außerdem vor Angst wie gelähmt gewesen. Der Polizist hatte ihn gebeten, sich auszuziehen. Sein Körper war voller Narben und blauer Flecke gewesen. Der Polizist hatte, so sagte er, daraufhin »eindeutige« Geräusche von sich gegeben und war danach gegangen. Im Foyer hatte ihm einer der Mönche gesagt, er könne den Jungen beim nächsten Mal gern härter rannehmen, das koste dann allerdings mehr. Daraufhin hatte der Polizist in aller Eile den Einsatz vorbereitet. Und die Eile, meinte er, war vielleicht der Fehler gewesen.
Auf jeden Fall aber hatte er das Haus schon eine Weile beschattet, und dabei war ihm ein alter Mann aufgefallen, ein Weißer, sehr arrogant, sehr selbstbewusst, »wie ein General«, hatte der Polizist gemeint. Er war diesem Mann gefolgt, er wohnte in einem der teuren Hotels und hatte sich unter dem Namen Antonio Salieri eingetragen. Nach dem geplatzten Einsatz war der Polizist sofort zu dem Hotel gefahren – Herr Salieri hatte am frühen Morgen ausgecheckt.
Ich druckte den Anhang zweimal aus, legte einen Ausdruck in der » WDR «-Mappe ab und steckte den zweiten in einen Umschlag für Tina. Dann leitete ich die Mail an Mary weiter mit der Bitte, sie ihrem cousin George zu schicken. Sie war ohnehin auf Englisch, denn Jeff spricht zwar perfekt Deutsch, schreibt es aber nicht
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