Endstation Oxford
Die Straße schlängelte sich über die Hügel der Cotswolds und durch hübsche, aber menschenleere Dörfer, bis sie schließlich auf einem Weg voller Schlaglöcher landeten, der in das von Roz beschriebene Dorf führte. Links und rechts zeigten die Terrassen kleiner Steincottages direkt auf den schmalen Bürgersteig, und vor den beiden Frauen erhob sich der gedrungene Turm einer normannischen Kirche. Dann wurden die Häuser größer. Sie erreichten die Toreinfahrt eines Bauernhofs. »Hier zu leben kann sich kein Mensch leisten, es sei denn, er ist ein Popstar oder ein Banker. In diesem Dorf wohnen leider nur noch Zugereiste. Aber zumindest sorgen sie dafür, dass es hier ein paar wirklich ausgezeichnete Läden gibt.«
Kate parkte vor dem Feinkostladen und öffnete die Wagentür. Sie fühlte sich ein wenig erleichtert, dass es überhaupt noch etwas gab, was die volle Zustimmung ihrer Mutter fand.
Was ist bloß mit ihr geschehen, dachte sie später auf dem Rückweg nach Oxford. Meine lebhafte, optimistische, unkonventionelle Mutter ist so anders geworden. Zwar wusste Kate, dass ältere Menschen gerne einmal über das moderne Leben schimpften, aber Roz hatte so etwas bisher noch nie getan.
Am Montagmorgen arbeitete Kate im Haus. Sie hoffte auf einen frühen Anruf von Estelle. Gern wäre sie eine Runde gejoggt, aber sie wollte ihre Agentin nicht verpassen. Sie räumte ihren Schreibtisch auf und lief eine Weile ziellos in ihrem Arbeitszimmer hin und her. Schließlich setzte sie sich in den Lehnstuhl und las zwei Seiten über viktorianisches Theater, ehe sie wieder aufsprang, nach unten ging, eine weitere Tasse Kaffee aufbrühte und sich mit einem Kochbuch an den Küchentisch setzte.
Um halb drei klingelte das Telefon, doch es war nur jemand, der ihr einen Breitbandanschluss verkaufen wollte.
Als Jon gegen sieben nach Hause kam, fand er Kate in der Küche.
»Himmel, was hast du denn vor? Erwarten wir noch jemanden zum Abendessen?«
Kate blickte sich um, als wäre sie gerade erst aufgewacht. Auf jedem Quadratzentimeter Arbeitsfläche standen Schüsseln und Teller. Löffel, Schneebesen und Hackbretter lagen herum. In der Spüle stapelten sich Pfannen. Jon öffnete die Spülmaschine – auch sie war bis oben hin voll.
»Hast du Hunger?«, fragte Kate.
»Glücklicherweise ja. Was ist denn hier los?«
»Estelle hat mir versprochen, mich wegen des neuen Buches anzurufen, aber sie hat sich bis jetzt nicht gemeldet.«
»Vielleicht ist ihr etwas Wichtiges dazwischengekommen, und sie ruft erst morgen an. Rot- oder Weißwein?«
»Lieber rot«, sagte Kate und fügte hinzu: »Trotzdem ist das nicht ihre Art.«
»Mach dir keine Sorgen. Könntest du mir bitte ein etwas kleineres Stück abschneiden?«
»Oh, ich hatte ganz vergessen, dass es drei Gänge gibt.«
»Alle selbst gemacht?«
»Natürlich.«
»Nennt man so etwas in der Psychologie nicht Affektverschiebung?«
Am folgenden Morgen schob Kate den Gedanken an Estelle beiseite, brachte ihre Abrechnungen auf Vordermann und beantwortete ihre aufgelaufenen E-Mails. Nach dem Mittagessen erledigte sie ihre gesamte Wäsche, bügelte alles, was liegen geblieben war, und ging zu Fuß zum Bäcker, um Kuchen zu holen.
Von Estelle hörte sie nichts.
Sie schickte ihr eine E-Mail, erhielt aber keine Antwort. Noch nicht einmal eine Abwesenheitsnotiz. Um drei Uhr rief sie an, landete aber sofort auf dem Anrufbeantworter. »Rufen Sie mich bitte an«, sagte sie.
Um halb vier versuchte sie es auf Estelles Handy, aber das war ausgeschaltet.
Um vier Uhr schließlich rief sie bei Estelle zu Hause an und war auf eine Schimpftirade vorbereitet.
»Hallo?« Ein Mann meldete sich.
»Peter?«
»Ja.« Seine Stimme klang erschöpft.
»Ich bin Kate Ivory, eine von Estelles Autorinnen.«
»Richtig, ich erinnere mich. Sie waren auf unserer Hochzeit.«
»Seit zwei Tagen bemühe ich mich um einen Kontakt zu Estelle, aber sie hat weder auf meine E-Mail noch auf meine Nachrichten auf dem AB geantwortet. Ist alles in Ordnung? Es geht ihr doch gut, oder?«
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Es ist alles im grünen Bereich. Warum auch nicht? Estelle geht es gut.«
»Aber sie geht auch nicht an ihr Handy. Es scheint ausgeschaltet zu sein.«
»Vielleicht ist es leer.«
Die Estelle, die Kate kannte, hätte niemals vergessen, ihren Akku aufzuladen.
»Und warum ist sie nicht im Büro?«
»Sie ist … äh … sie hat sich ein paar Tage freigenommen.«
»Sie hat bitte was? Estelle hat
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