Endstation Oxford
mir ein Manuskript geschickt?«
»Ja, und zwar im November, als Sie mich am Telefon darum baten.«
»Richtig, jetzt fällt es mir wieder ein. Sie wollten, dass ich Ihren Erstlingsroman beurteile.«
»Man hatte mich im Vorfeld bereits gewarnt, dass Agenten neue Autoren manchmal etwas kühl behandeln. Ich nehme es Ihnen nicht übel, Mrs Livingstone.«
»Und warum rufen Sie jetzt an?«
»Ich wollte mich lediglich vergewissern, dass mein Werk nicht unter die Räder gekommen ist, wenn Sie den Ausdruck gestatten. Ich hatte gehofft, schon längst wieder von Ihnen zu hören.«
»Wie lautet der Titel?«
»Das Buch heißt Die Drehung der Daumenschraube und ist von mir. Von Todd Erwin.«
»Ging es nicht darum, wie Sie richtig reich werden wollen?«
»Ich? Oh, ich bin alles andere als reich. Nein, es geht um einen jungen, dreiundzwanzigjährigen Mann, der von seinen Eltern nie richtig verstanden wurde und …«
»Ja, auch das klingt vertraut. Ja, da ist es. Das Manuskript trägt den Eingangsstempel vom zwölften November. Heute kann ich leider nichts mehr für sie tun, aber nach Neujahr melde ich mich bestimmt.«
»Können wir nicht am Telefon kurz das Wichtigste besprechen?«
»Dazu habe ich jetzt leider keine Zeit, Mr Erwin. Aber wie gesagt: Nach Neujahr melde ich mich.«
»Das, was ich geschrieben habe, ist um Längen besser als der Mist, den man im Fernsehen vorgesetzt bekommt«, bemerkte Todd Erwin mit anklagender Stimme.
»Nun, wir werden sehen. Aber ich muss jetzt weitermachen, und Ihnen geht es sicher ähnlich. Auf Wiederhören. Und frohe Weihnachten!« Damit legte Estelle auf.
9
Als das neue Jahr eine Woche alt war, fand Kate, dass sie genug am Entwurf für ihren neuen Roman herumgefeilt hatte. Sie rief Estelle an, um ihr mitzuteilen, dass sie Lesestoff für sie hatte.
»Schicken Sie mir Ihren Entwurf doch einfach als E-Mail. Ich schaue ihn mir dann gleich an.«
»In Ordnung, wird sofort erledigt.«
»Ich lese ihn am Wochenende. Gleich Montagmorgen hören Sie von mir.«
Kate wusste, dass sie sich auf ihre Agentin verlassen konnte. Am Montag würde Estelle sie anrufen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie mailte die ersten bereits fertigen Kapitel und eine peppige Zusammenfassung. Anschließend machte sie sich endlich einmal daran, das Haus in Ordnung zu bringen.
»Du weilst ja wieder unter uns.« Jon grinste, als er am Abend von der Arbeit kam und Kate in der Küche vorfand.
»Ja, aber nur kurz. Ich warte nur auf Estelles Urteil und ihre Änderungsvorschläge. Danach kann ich gleich weitermachen.«
»Dann sollten wir vielleicht zusehen, dass wir alle Gespräche der kommenden zwei Monate in zwei Tage quetschen.«
Ehe Kate darauf antworten konnte, klingelte das Telefon. Es war ihre Mutter.
»Roz? Ich wollte dich gerade anrufen. Wie geht es dir bei diesem Wetter?«
»Mittelmäßig. Du weißt ja, dass ich bei Schnee und Eis nicht Auto fahre.«
»Soll ich dich irgendwo hinbringen? Mir wäre morgen recht? Wo soll es überhaupt hingehen?«
»Mir würde Freitag besser passen.«
»Gut, dann hole ich dich am Freitagmorgen ab.«
»Danke, Kate.«
Nach einigen Minuten zusammenhangloser Konversation beendete Roz das Gespräch. Kate fragte sich beunruhigt, was mit ihrer sonst so selbstständigen Mutter los war. Normalerweise hätte Roz jede Hilfe erst einmal vehement abgelehnt.
Am Freitagmorgen fuhr Kate zum Haus ihrer Mutter in East Oxford.
»Wo fahren wir hin?«
»Ich will mich bei einem guten Metzger mit Vorräten eindecken, und ich muss in den Feinkostladen.« Sie blickte in Kates verständnisloses Gesicht. »Natürlich zu dem in diesem Dorf in der Nähe von Chipping Norton.«
»Natürlich«, murmelte Kate und ging nicht näher darauf ein, dass der Ort mehr als dreißig Kilometer entfernt lag. »An einem Tag wie heute macht die Autofahrt sicher Spaß.«
Die Sonne strahlte, aber es war immer noch bitterkalt. Reif glitzerte auf Gras und Bäumen. Kate drehte die Heizung auf.
Als sie durch Woodstock fuhren, begann Roz, in ihren Erinnerungen an ein Leben in wärmeren Klimazonen zu schwelgen.
»Denkst du wieder einmal daran, weiterzuziehen?«, fragte Kate. »Mir ist durchaus bewusst, dass der graue Winterhimmel von Oxford einem schon manchmal aufs Gemüt schlagen kann.«
»Ich glaube, der Trubel eines Umzugs wäre mir zu viel.« Roz starrte verdrossen auf skelettartige Baumkronen und öde Felder. Bereifte Spinnweben hingen wie zerlumpte Spitze an den Hecken.
Kate bog von der A44 ab.
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