Endstation Oxford
einen kurzen Moment dachte Portia, die Frau wäre Estelle, doch dann wurde ihr klar, dass das silberne Haar und die gebieterischen blauen Augen zur Mutter ihrer neuen Tante gehörten.
»Ihr müsst euch gerade halten«, sagte sie zu den beiden Brautjungfern. »Die Leute sehen zu euch hin. Und hör auf zu heulen«, zischte sie Juliet an. »Ihr Blumenkranz gehört mindestens fünf Zentimeter weiter nach vorn«, flüsterte sie Cathy zu und legte gleich selbst Hand an.
Ohne sich noch einmal umzublicken, setzte sie dann ihren Weg zur ersten Reihe links fort.
Der Organist stimmte eine lebhafte Melodie an, die nach und nach in die vertrauten Klänge des Hochzeitsmarsches überging.
Im Garten stand ein großes Festzelt. Auf dem Rasen wartete eine lange Reihe Gratulanten, die mit Champagnergläsern in den Händen unter dem apfelgrünen Stoffdach plauderten. Die Zeltmasten waren mit weißen und roten Rosen geschmückt. Im Zelt hatte man Tische und Stühle aufgebaut. Ein Stückchen weiter stand ein kleineres, rundes Zelt, dessen Form an einen chinesischen Hut erinnerte. Hier befand sich die Bar, wo sich Gäste bedienen konnten, die keinen Champagner wollten, sondern stärkeren Getränken den Vorzug gaben.
Es war angenehm warm geworden. Die Hochzeitsgäste schwärmten über den Rasen. Ein halbes Dutzend Kinder tobte, endlich von den Zwängen des Kirchenbesuchs befreit, fröhlich schreiend durch den Garten.
Kate und Jon stellten sich bei den Gratulanten an. Nachdem sie dem frischgebackenen Ehepaar ihre Glückwünsche überbracht hatten, bedienten sie sich beim Champagner, bekamen ein winziges Amuse-Gueule mit Räucherlachs dazu und gingen wieder hinaus an die frische Luft.
»Hier sind mindestens hundert Leute«, stellte Kate fest, nachdem sie sich umgesehen hatte.
»Wenn nicht sogar mehr«, sagte Jon. »Schau dir bloß an, wie groß das Zelt ist, in dem gleich das Essen serviert wird.«
Rechts von ihnen begann ein Kind, hysterisch zu schreien.
»Wenn du so weitermachst, ist dein Kleid gleich im Eimer«, kritisierte eine sehr junge Stimme in scharfem Tonfall. »Du solltest sie nicht auch noch bei diesem Blödsinn unterstützen, Onkel Charley.« Kate sah sich um. Die ältere der beiden kleinen Brautjungfern musterte ihre Schwester mit kritischem Blick. Juliet, deren Kränzchen aus Rosenknospen schon wieder verrutscht war, schrie noch lauter, als besagter Onkel Charley sie erneut hoch über seinem Kopf schwenkte. Wenigstens hatte er sein halb leeres Whiskyglas zuvor abgestellt.
Eine Frau mit rotgoldenem Haar, dessen kunstvoll aufgetürmter Knoten sich langsam löste, kam hastig aus dem Zelt gelaufen. Sie trug ein grünes Seidenkleid, das gefährlich über den Hüften spannte. Gerade wurde Juliet wieder in die Luft geworfen.
»Was um alles in der Welt tust du da, Charley?«, schimpfte die Frau. »Ich dachte, wir wären uns einig …«
»Schon gut. War doch nur ein Späßchen.«
»Er muss ganz schön stark sein, Mami«, meldete sich das andere Kind zu Wort. »Juliet ist in letzter Zeit ziemlich fett geworden.«
»Sei nicht so gemein zu ihr, Portia.« Das muss Estelles Schwägerin sein, dachte Kate.
»Lass sie runter«, sagte Cathy zu Charley. Ihre Stimme klang jetzt weniger scharf. Sie nahm Juliets Hand, um die Kleine ins Zelt zurückzuführen, und tätschelte Charley kurz den Arm, als wolle sie sich für ihr Einschreiten entschuldigen.
Charley griff nach seinem Whiskyglas und leerte es in einem Zug, ehe er davontrottete. Sein Blick war unstet, und er schwankte ein wenig.
»Myles!«, rief Cathy herrisch. »Soll ich mich etwa ganz allein um die Kinder kümmern? Komm her und hilf mir.«
Die Livingstones und die Humes hatten inzwischen alle Gäste begrüßt und mischten sich unter das Volk, das über die ausgedehnten Rasenflächen bummelte. Myles löste sich aus einem heiter plaudernden Grüppchen und gesellte sich zu seiner Frau. Charley torkelte auf den Chinesenhut zu, wo er sein Glas nachfüllen ließ.
»Warum legst du es immer darauf an, mich vor den Augen der anderen zum Idioten zu machen?«, beschwerte sich Myles bei seiner Frau.
»Lass uns lieber weitergehen«, flüsterte Kate und nahm Jons Arm.
3
»Wow«, staunte Kate leise.
»Was hast du erwartet? Schwarze Seide und feuerroten Samt? Einen Rotwein-Brunnen und ein Buffet mit gebratenen Pfauen und jungen Blättern vom Salz-Alant?«
»Jedenfalls hätte das besser zu der Estelle gepasst, die ich kenne. Aber dieser weiße Damast und das zartgrüne Leinen
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